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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dieses Kind, das Sie waren, mit ein paar Worten beschreiben – welche Attribute fallen Ihnen da ein?«
    »Verwirrt«, sagte David sofort, und fügte dann hinzu: »Ich ängstigte mich oft vor etwas, wovon ich nicht wußte, was es war. Ich war...überempfindlich und ein bißchen hysterisch. Ich hatte schreckliche Träume.«
    Er merkte nicht, daß er eine exakte Beschreibung dessen abgegeben hatte, was er heute war.

New York, 28. 12 .1989
    1
    Gina Artany liebte den Luxus. Da sie in den vergangenen Jahren ständig hatte sparen müssen, verfiel sie nun in einem von Davids Gästezimmern in einen wahren Verschwendungsrausch. Sie knipste alle Lichter an, füllte die Badewanne bis zum Rand mit Wasser und kippte so viel von einem teuren Parfum, das sie in einem Badezimmerschrank gefunden hatte, hinein, daß der Duft das ganze Zimmer ausfüllte. Sie öffnete zwei Flaschen Champagner, nur um einmal wieder festzustellen, daß sie wirklich verschieden schmeckten. Dann riß sie weit das Fenster auf und drehte gleichzeitig die Heizung bis zum Anschlag, denn diese Mischung aus frischer Luft und Wärme schien ihr das Höchste an Luxus. Sie konnte Charles, ihren Mann, hören, wie er mit ängstlicher Stimme sagte: »Wenn du das Fenster aufmachst, Liebling, dreh doch bitte die Heizung runter. Das wird sonst zu teuer, du weißt doch ...«
    Lord Charles Artany. Der Mann, der ihr den Titel »Lady« gegeben hatte. Der Mann, mit dem sie auf einem ungemütlichen, zugigen Landsitz im Norden Englands hauste und mit dem sie in den finanziellen Bankrott gesegelt war. Sie trat, gehüllt in einen flauschigen, weißen Bademantel, vor den Spiegel und musterte ihr Gesicht, das Gesicht einer neunundzwanzigjährigen Frau, die praktisch keinen Pence auf dieser Welt mehr besaß und häufiger mit dem Gerichtsvollzieher kommunizierte als mit irgend jemandem sonst.
    »Ich bin die Frau, die John Eastley geliebt und verloren hat«, sagte sie laut und betrachtete genau ihr Mienenspiel, während sie Johns Namen aussprach. Immer wenn Charles in der Nähe gewesen war, waren ihr die Tränen gekommen, sobald sie diesen Satz sagte; nun, da der Atlantik sie trennte, überfiel sie die
Traurigkeit nicht mehr so heftig. Einem anderen Mann Liebe vorspielen zu müssen, wo doch all ihre Liebe nur John gehörte, war vielleicht das Schlimmste. Sie erduldete Charles’ Zärtlichkeit nur widerwillig, gab sie noch viel widerwilliger zurück und hatte das Gefühl, als würden ihre Wunden nicht einmal anfangen zu heilen. Zum erstenmal verebbte jetzt der Schmerz ein wenig, vielleicht auch deshalb, weil sie es sich nicht leisten konnte, der Traurigkeit allzu großen Raum einzuräumen. Sie mußte ihre fünf Sinne zusammenhalten.
    Sie zog den Bademantel aus, stellte fest, daß ihr keine Zeit mehr zum Baden blieb, schlüpfte in Wäsche und Strümpfe und griff nach dem Kleid, das sie zum Dinner tragen wollte. Es stammte noch aus ihren guten Zeiten mit John, war aus schwarzer Seide und hatte einen tiefen, runden Ausschnitt. Mit größter Mühe hatte Gina den Rock kürzer genäht, um ihn der herrschenden Mode anzupassen. Sie legte ein Smaragdcollier um den Hals und bürstete ihre langen, dunklen Haare. Der Spiegel warf ihr das Bild einer ausgesprochen teuer gekleideten Frau zurück. Eine erheiternde Vorstellung, wenn sie bedachte, wie verzweifelt ihre Lage war: hätte David seiner Einladung nicht gleich ein Flugticket beigelegt, wäre es ihr nicht einmal möglich gewesen, die Reise zu bezahlen.
    Sie hatte David in ihrem ganzen Leben nie wiedersehen wollen, denn der Haß auf ihn war so frisch und heftig wie eh und je, aber er war ein verdammt reicher Mann, und sie brauchte so furchtbar dringend Geld. Hunderttausend Dollar würden ihr aus dem Gröbsten heraushelfen, und die hunderttausend Dollar sollte David ihr geben. Nicht zuviel für ein verpfuschtes Leben, im Gegenteil, er kam billig weg, viel zu billig.
    Hängen und vierteilen sollte man ihn, dachte Gina, er hätte es weiß Gott verdient!
    Sie straffte ihre Schultern. Ihr Selbstvertrauen, von dem sie in der letzten Zeit manchmal geglaubt hatte, sie habe es mit all den anderen Sachen ins Pfandhaus getragen, strömte in sie zurück. Der Lampenschein ließ ihr dunkelbraunes Haar wie Seide glänzen und machte aus ihren Augen hellen Bernstein. Sie war eine
attraktive und sehr starke Frau, und sie war schon mit schwierigeren Situationen als dieser fertig geworden.
    Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß sie noch etwas Zeit hatte bis zum

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