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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Arzt.
    Er wußte nicht einmal genau, was er eigentlich wollte. Schließlich war er gesund. Aber dann – wenn er sich gerade entschlossen hatte, auf die Hilfe eines Seelendoktors zu verzichten – passierte wieder irgend etwas: Er wurde hysterisch, weil er sich einbildete, seine Knochen weichten auf. Oder er hatte Träume, in denen sich grauenvolle Gewaltszenen abspielten. Oder seine Migräneanfälle hielten ihn tagelang von der Arbeit ab. Dann saß er doch plötzlich wieder auf einem Sofa.
    »Warum heißen Sie David?« fragte der Arzt. »Ein jüdischer Name!«
    »Meine Mutter hat das so bestimmt... sie ist Deutsche, sie war ein Kind während der Nazizeit. Zur Erinnerung an die Millionen ermordeter jüdischer Kinder wollte sie ihrem Sohn einen jüdischen Namen geben.«
    »Sie selber ist nicht jüdisch?«
    »Nein. Aber ihr Vater starb im KZ.«
    Zeitlebens hatte das Bild ihres Vaters einen Ehrenplatz im Wohnzimmer gehabt, daran konnte sich David erinnern – es war vielleicht überhaupt die erste Erinnerung seines Lebens. Eine Art Altar hatte Mum errichtet, Kerzen, Blumen, eine Madonna. Mum war katholisch. In England gab es keine katholischen Kirchen,
aber sie hielt an ihrem Glauben fest. David hatte einmal nach der Madonna greifen und mit ihr spielen wollen, er hielt sie für eine schöne Puppe mit einem blauen Kleid und einem roten Schleier auf dem Kopf. Mum hatte sie ihm entrissen und ihm rechts und links auf die Wangen gehauen. »Tu das nie wieder, David!«
    Dann, als er brüllend und schreiend auf dem Teppich saß – ihn hatte noch nie jemand geschlagen, und er konnte es nicht fassen – hatte ihn Mum in die Arme genommen. Sie weinte auch.
    »David, Liebling, es tut mir leid. Es tut mir so leid. Du mußt verstehen... mein Vater...David, ich will dir von ihm erzählen, und du wirst verstehen ...«
    »Hat Ihre Mutter oft von ihrem Vater gesprochen?« fragte der Arzt, als könnte er Gedanken lesen.
    »Ja.«
    »Was hat sie erzählt?«
    »Ich...weiß nicht mehr genau ...«
    »Sie erinnern sich an gar nichts?«
    Er erinnerte sich an seine Träume. Sie waren angefüllt mit Geschichten seiner Mutter, aber oftmals hatten sie sich mit Märchen vermischt, die man ihm erzählt hatte, oder mit Bildern, die im Fernsehen zu sehen gewesen waren. Wenn er aufwachte, panisch nach dem Lichtschalter suchte, um sich zu vergewissern, daß er in Sicherheit war, wußte er gar nicht mehr, woraus sich die Schreckensbilder im einzelnen zusammengesetzt hatten.
    »Ihre Mutter hat Sie immer sehr geliebt?« fragte der Arzt behutsam.
    David nickte. »Ja. Ich war der einzige Mensch, den sie hatte. Sie hatte ihren Vater und ihren Mann verloren, und alles, was sie an Liebe hatte, gab sie mir.«
    »Und dann war da noch jener Mann in New York, der Sie zu seinem Erben bestimmt hatte. Verbrachten Sie sehr viel Zeit mit ihm?«
    »Ich war in beinahe allen Ferien drüben. Zwischendurch besuchte er uns.«
    »Und er hat Sie auch sehr geliebt?«

    »Ja, hat er.« David wurde ungeduldig, er sah nicht, worauf das hinauslaufen sollte. »Er hatte ja auch niemanden sonst. Hören Sie, Doktor, ich ...«
    »Das ist ein durchaus wichtiger Punkt, Mr. Bellino. Hatten Sie manchmal das Gefühl, erdrückt zu werden? Sich wehren zu wollen, ohne zu wissen, wogegen?«
    Er hatte eine empfindliche Stelle angekratzt. David verspürte das würgende Gefühl im Hals, das ihn so oft schon gepeinigt hatte.
    »Ach...glaubte zu ersticken, Doktor. Ja, das kam immer wieder. Ich war voller Wut, aber ich konnte sie gegen niemanden richten. Sie waren so gut zu mir. Sie wollten nur das Beste. Ich sollte das Beste bekommen und der Beste sein. Manchmal wollte ich schreien, aber ich schrie nie. Ich hatte Angst vor dem Entsetzen, mit dem sie mich anschauen würden.«
    »Ihr Problem, Mr. Bellino, beruht meiner Ansicht nach nicht einmal so sehr auf den Dingen, die man Ihnen erzählt hat, auf den Schrecken, mit denen sich Ihre Mutter herumschlug und die sie zweifellos auch auf Sie übertrug. Das ist eher die Ursache, die Wurzel, für eine ganz andere Entwicklung. Ihre Mutter und auch Mr. Bredow haben Sie in Liebe – und in Ansprüchen, die sie an Sie stellten! – förmlich... ja, wie Sie es nannten, erstickt. Sie waren soviel Liebe gegenüber ohnmächtig. Sie haben nicht die Aggressionen ausleben können, die ein junger Mensch gerade in den Entwicklungsjahren ausleben muß . Und jetzt kauen Sie so verzweifelt darauf herum.« Der Arzt seufzte. »Wenn Sie an sich als Kind denken, und Sie müßten

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