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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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mit Natalie schon als Teenager die Überzeugung geteilt hatte, bei Flugreisen müsse man immer so hergerichtet sein, als werde man todsicher seinem Traummann begegnen.
    »Stell dir vor, Jean Paul Belmondo setzt sich neben dich, und du hast eine uralte Jeans und ein ausgeblichenes T-Shirt an«, hatte Nat gesagt.
    »Sag mal, hat eigentlich jemals Jean Paul Belmondo im Flugzeug neben dir gesessen?« erkundigte sich Gina nun.
    Natalie stutzte, dann grinste sie. »Nein. Neben dir?«

    »Nein.« Sie lachten beide.
    »Wir geben die Hoffnung nicht auf.« Natalie erhob sich. Sie sah sehr hübsch aus in ihrem Kostüm aus dunkelgrünem Samt. Das blonde Haar glänzte im Schein der Lampen. Zum ersten Mal fielen den anderen die zarten Fältchen um Natalies Augen auf. Sie machten die Freundin weniger älter als schöner. Zu ihrem klugen Gesicht paßten die feinen Linien besser als die glatte Haut des Teenagers. Natalie gehörte zu den Frauen, die mit jedem Jahr attraktiver werden.
    Nun suchte sie in ihrer Handtasche nach ihrem Ticket. »Wo hab ich es denn nur? Meine Güte, ich werde es doch nicht in meinem Zimmer liegengelassen haben! Noch einmal gehe ich nicht in dieses Penthouse zurück... ah, da ist es ja!« Sie zog den Umschlag heraus. Gleichzeitig purzelte eine Schachtel auf den Tisch. Es waren ihre Tabletten. Alle starrten darauf, dann nahm Steve die Schachtel und gab sie Natalie zurück.
    »Ich werde eines Tages Stammgast in allen nur denkbaren Sanatorien sein, wenn ich nicht Schluß mache mit dem Zeug«, murmelte sie, während sie die Packung verstaute.
    »Du wirst es schon jetzt nicht mehr ohne ärztliche Hilfe schaffen«, sagte Gina, »aber je eher du anfängst, desto leichter geht es.«
    »Okay.« Natalie ließ das Schloß ihrer Chaneltasche zuschnappen und verwandelte sich nach dem sekundenlangen Eingeständnis ihrer Schwäche wieder in die kühle, souveräne Blonde, die niemandem Einblick in ihr Inneres erlaubt. »Hör zu, Mary, du bist nur in London, um deine Tochter abzuholen. Dann kommst du sofort nach Paris. Laß dich von dem Schuft Peter bloß nicht bequatschen. Wenn Männer verlassen werden, ziehen sie alle Register an Sentimentalitäten, und es gibt leider genügend Frauen, die sich davon beeindrucken lassen.«
    »Ich nicht«, versicherte Mary, und wer ihr kleines, herzförmiges Gesicht sah, mochte nicht unbedingt überzeugt sein; ein scharfer Beobachter hätte jedoch den glimmenden Funken der Entschlossenheit in ihren Augen wahrgenommen. »In spätestens einer Woche bin ich in Paris, Nat!«

    Wie sich das anhörte! Paris! Von New York über London nach Paris! Irgendwie versprach das ein neues Leben.
    »Claudine und ich freuen uns auf dich«, sagte Natalie. Sie neigte sich vor und gab jedem einen Kuß. »Auf Wiedersehen. Wir werden nicht wieder so lange den Kontakt abreißen lassen, ja? Haltet mich ein bißchen auf dem laufenden.«
    Auf einmal war der Abschiedsschmerz da, den sie alle die ganze Zeit über zu verdrängen versucht hatten. Keiner sagte etwas, aber jeder empfand ihn. Sie waren einander wieder so nah wie früher, als sie jeder die Seelengeheimnisse des anderen gekannt und ein unzerreißbares Band unbedingter Solidarität zwischen sich gespürt hatten.
    Als Natalie davonging, hätten die Zurückbleibenden weinen mögen. Auf JFK war der Teufel los an diesem Abend, aber trotzdem kamen sie sich vor, als sei ein jeder von ihnen auf eine einsame Insel verbannt.
    »Unser Flug geht erst in einer Stunde«, sagte Gina. Sie sagte das eher deshalb, um auszuprobieren, ob ihre Stimme noch funktionierte, denn natürlich wußten die anderen, wann der Flug ging.
    »Ja«, sagte Mary
    »Ja«, sagte Steve.
    Gina nahm ihren Löffel und gab der Soße in ihrer Kartoffel eine letzte Chance, aber erwartungsgemäß hatte sich nichts gebessert. Um ein Haar wäre noch etwas davon auf ihren kurzen schwarzen Rock getropft. Sie fluchte leise und schob den Teller an das äußerste Ende des Tisches.
    »Ich glaube, ich brauche noch einen Sekt«, sagte sie.
    Um die Traurigkeit anzuheizen, fragte Mary mit ihrer Piepsstimme: »Warum nur hat Laura sich umgebracht? Ich kann es immer noch nicht begreifen.«
    Sie hatte damit die stillschweigende Übereinkunft gebrochen, Laura nicht mehr zu erwähnen. Auf einmal hatten sie wieder die schreckliche Szene vor Augen, das Frühstückszimmer in Davids Wohnung, Kaffee, Brötchen, Marmelade, Käse und Schinken, Cornflakes... der Haushalt lief noch so reibungslos wie zu Davids
Lebzeiten. Sie aßen

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