Schattenspiel
gebraucht, und sie hatte ihn im Stich gelassen. Reue, Schmerz, die Unfaßbarkeit, daß sie nichts würde wieder in Ordnung bringen können, überfielen sie gleichermaßen heftig. Die Erstarrung, die über ihr gelegen hatte, gleich nach Kellys Anruf, löste sich.
»Ken!« schrie sie, und wie sie es als kleines Kind getan hatte, wollte sie sich zusammengekrümmt in eine Ecke legen und weinen. Aber von draußen erklang eine Stimme: »Ich bin es – Steve. Darf ich... darf ich reinkommen?«
Sie mußte sein Klopfen überhört haben. Rasch zog sie den Gürtel ihres Morgenmantels fester. Ein Blick in den Spiegel, sie sah grau aus, blaß bis in die Lippen. Auch egal, mochte sich Steve seinen Teil denken.
»Ja. Kommen Sie herein, Steve.«
Er trat ein, schloß nachdrücklich die Tür hinter sich. »Guten Morgen, Laura. Ich hoffe, ich störe Sie nicht?«
»Nein. Was gibt es?«
»Darf ich mich einen Moment setzen?«
»Bitte.« Sie selber blieb stehen. Ihre Geistesabwesenheit verunsicherte ihn. Die Frau war überhaupt nicht ganz da. Und sie sah entsetzlich elend aus – lieber Gott, wie konnte ein Mensch so bleich sein? Nun, vielleicht lag das auch an der überhellen Wintersonne, die ließ jeden fahl aussehen. Steve beschloß, sich nicht weiter darum zu kümmern.
»Laura, wegen der letzten Nacht....«
»Ja?«
»Es... es sah alles so einfach aus, nicht?«
Letzte Nacht... das war so lange her. In der letzten Nacht war Ken gestorben. Mit beiden Händen griff sich Laura an die Schläfen. »Was meinen Sie, Steve?«
»Ich, nun... ich dachte in der letzten Nacht, alle meine Probleme hätten sich gelöst. Ich glaube, wir alle dachten das. Wissen Sie, ich liebe Mary, und in der letzten Nacht war ich überzeugt, daß es nur diese Liebe ist, was wirklich zählt. Alles andere kam mir unwesentlich vor. Bedeutungslos. Erst jetzt... es ist nicht mehr Nacht und nicht mehr dunkel...« Sie muß glauben, ich bin verrückt, dachte er. »Auf einmal sind meine Sorgen wieder da. Meine Zukunftsangst... das Gefühl, keinen Boden unter den Füßen zu haben...«
»Ich verstehe«, sagte Laura ausdruckslos, »es geht mir genauso. «
Ein Mensch, der ein bißchen weniger auf sich konzentriert gewesen wäre als Steve, hätte den Schmerz in ihren Augen erkannt. Steve aber fragte sich nur verwundert: Wie kann sie mich verstehen? Sie hört mir doch gar nicht zu!
»Wenn ich jetzt nach England zurückkehre, wird alles dort weitergehen, wo es aufgehört hat«, fuhr er fort. »Ich werde keine Arbeit haben und kein Geld. Ich werde immer der Mann sein, der im Gefängnis war. Man gibt mir keine Chance, deshalb kann ich es nicht schaffen.«
Immer noch lag diese seltsame Teilnahmslosigkeit in Lauras Blick. Sie wirkte so müde, so sterbensmüde.
»Laura, ich habe gedacht, Sie könnten mir helfen. Ihnen ist doch nun alles zugefallen, was David gehört hat. Sie besitzen mehr Geld, als Sie in Ihrem ganzen Leben ausgeben können. Und Sie herrschen allein über ein Imperium. Meinen Sie nicht, es gäbe etwas – irgend etwas –, was Sie für mich tun können?«
Zum ersten Mal seit Beginn der Unterhaltung erwachte in Laura ein Funken Leben. Ihre Augen wurden um eine Spur schmaler. »Was meinen Sie?« fragte sie lauernd.
»Nichts als das, was ich sage.« Steve erhob sich. Es irritierte ihn, von unten zu ihr hinaufsehen zu müssen. Vom Couchtisch her lächelte ihn Davids Foto aus breitem Silberrahmen an – ein kaltes Lächeln. So, als wollte er sagen: Paß auf, ich habe auch jetzt noch alles unter Kontrolle!
»Ein Job bei Bredow Industries. Eine hübsche Wohnung hier in Manhattan. Es würde meinem Leben eine Wende geben, Laura. Ich hätte endlich die Chance, neu anzufangen. Und Sie würden wahrscheinlich kaum eine Bewegung auf Ihren Konten registrieren!«
»Sie meinen, die lächerlichen anderthalb Millionen Dollar, die eine ›hübsche Wohnung‹ in Manhattan kostet, sind ein Klacks für mich?«
»Sie besitzen eine Milliarde!«
»Und was wollen Sie dann später? Ein Ferienhaus an der Cöte d’Azur? Eine Ranch in Kalifornien? Eine Yacht? Einen eigenen Jet? Nicht zu vergessen eine Sammlung schöner Autos und ein komplett ausgestattetes Fitness-Studio? Fällt Ihnen noch etwas ein? Sie müssen es nur sagen!«
»Laura, ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Ich will nicht... «
»Ich habe Sie richtig verstanden, Steve. Und im Grunde ist es genau das, was ich hätte erwarten müssen.« Laura sprach jetzt klar und scharf. Ihre Benommenheit hatte sie
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