Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
Vom Netzwerk:
Aufgabe er hatte, war Friedrich
ohnehin nicht ganz klar. Er empfing den ganzen Tag über
Boten mit wichtigen Meldungen oder konferierte im Wohnzimmer
hinter verschlossenen Türen mit anderen Offizieren,
die in amerikanischen Jeeps und bisweilen auch in beschlagnahmten
deutschen Limousinen vorfuhren. Manchmal unterbrach
Sirinow seine Arbeit, um Marlene beim Klavierspielen
zuzuhören. Und dafür mochte Friedrich ihn, obwohl sonst so
vieles an ihm undurchsichtig war.
    Es passierte am Mittwoch nach Leos Ankunft, als eine Frau
aus der Nachbarschaft in heller Aufregung hereinplatzte und
hysterisch weinend danach verlangte, den Oberst zu sprechen.
Mutter war in Begleitung von Tarassow zur Wasserpumpe gegangen,
während Friedrich und Leo im Wohnzimmer saßen
und über ihre Zukunft und die Zeit nach dem Krieg sprachen.
Friedrich wollte Abitur machen, Medizin studieren und Arzt
werden, am liebsten Chirurg, wie der große Sauerbruch. Leo
dagegen dachte gar nicht so weit. Sein einziger Plan war es,
Wilhelm so schnell wie möglich wiederzufinden. Alles andere
würde sich dann ergeben.
    Weiter kamen sie nicht, denn eine lautstarke Unterbrechung
ließ ihre im Raum stehenden Pläne zerplatzen.
    Die Frau, die ungehindert durch die Haustür hereingestolpert
und schreiend von einem Raum zum anderen gelaufen
war, sah fürchterlich aus. Ihre Haare waren ungewaschen und
wirr, die Bluse hatte sie schief zugeknöpft und ihre Nylonstrümpfe
waren voller Löcher. Als sie schließlich die Tür des
Bibliothekszimmers aufriss, war sie völlig außer Atem.
    »Wo ist dieser Oberst?«, keuchte sie. »Der bei euch einquartiert
ist! Schnell, sie bringen sie um!«
    Beide sprangen auf. Friedrich warf Leo einen kurzen Blick
zu. Der zuckte mit den Schultern. »Sirinow ist nicht da«, sagte
er. »Er kann aber nicht weit sein. Sein Auto steht noch vor der
Tür.«
    Die Frau war völlig verzweifelt. »Irgendwer muss uns helfen!«, schrie sie. »Die bringen meine Schwester um!« Sie rannte
wieder aus dem Zimmer und dann aus dem Haus, offenbar
um ihr Glück woanders zu versuchen.
    »Verdammt«, murmelte Friedrich, lief in die Halle und griff
nach seiner Jacke. »Lass uns mal nachsehen!«
    Er nahm die Treppe in wenigen Sätzen und folgte der Frau.
Leo setzte ihm nach. Auf der Straße standen einige Soldaten
herum, die ihnen neugierig hinterhersahen. Einen von ihnen
kannte Leo offenbar.
    »Koschka, komm!«, rief Leo. Der Soldat löste sich aus der
Gruppe und schloss sich ihnen an. Jetzt rannten sie also zu
dritt hinter der Frau her, die inzwischen nicht mehr nach dem
Oberst schrie, sondern sich offenbar mit ihnen als Eskorte zufriedengab.
Friedrich schlug das Herz bis zum Hals. Aus den
Augenwinkeln nahm er die Straße wahr, die Fuhrwerke und
Fahrzeuge der Russen, eine Feldküche, Pferde und die vereinzelten
Laken, die immer noch aus einigen Fenstern hingen.
Außer den Russen waren einige wenige Deutsche unterwegs
und huschten als gebückte Gestalten mit weißen Armbinden
vorbei.
    Sie bogen in die Kirschenallee ein. Auch hier standen große
Häuser hinter Hecken und hohen Zäunen. Etwa zweihundert
Meter vor ihnen hatte sich an einem Gartentor ein kleiner
Auflauf gebildet. Als sie schließlich dort angekommen waren,
wichen zwei Dutzend Menschen schweigend zurück, um sie
durchzulassen.
    Sie passierten, immer noch im Laufschritt, einen Vorgarten,
in dem haufenweise Gerümpel herumlag, oder besser gesagt,
Hausrat und Möbel, die einmal teuer gewesen waren und nun
achtlos aufeinandergeschichtet standen und lagen.
    Die Haustür hing schief in den Angeln. Sie stürzten in eine
Eingangshalle, in der ein schwer betrunkener Russe auf einem
Polstersessel unter einem Landschaftsgemälde saß; die Stiefel
hatte er abgestreift und die nackten Füße ruhten auf einer
umgekippten Kommode.
    »Chitler kaputt!«, schrie er ihnen entgegen und warf eine
leere Flasche quer durch den Raum. Sie zerschellte mit scharfem
Klirren auf den Fliesen. Dann sackte der Kopf des Soldaten
auf die Rückenlehne.
    Im Wohnzimmer herrschte ein Chaos aus umgestürzten
Möbeln und Glassplittern. Zwei Soldaten standen mit ihren
Maschinenpistolen im Anschlag in der Mitte des Raumes und
hielten drei Frauen und zwei ältere Männer in Schach, die sich
ängstlich gegen ein Bücherregal drückten. Auf dem Wohnzimmertisch
lag ein weiterer Russe keuchend mit heruntergelassener
Hose auf dem Bauch und blutete stark aus einer Verletzung
an der Hüfte. Eine dunkel glänzende Lache hatte sich auf der
Tischplatte

Weitere Kostenlose Bücher