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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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eher aggressiv als fröhlich.
    Dann setzte er die Flasche an und kippte sich den Sekt in
den Mund, dass der Schaum ihm über das Gesicht lief.
    Koschka wandte sich wieder an Leo. »Das sind keine normalen
Soldaten«, sagte er. »Die haben sie direkt aus den Lagern
in Sibirien geholt. Die haben keine Angst mehr vor Bestrafung.
Denen geht man besser aus dem Weg.«
    »Wie denn, wenn sie einem die Tür eintreten?«, fragte Leo.
    »Manchmal nützt es nichts, sich zu wehren«, beharrte
Koschka.
Dann drehte er sich um, stapfte aus dem Garten und
wandte sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
    »Stimmt«, sagte Leo bitter. »Das hätte meinen Eltern auch
nichts genützt.«
    Koschka, der das offenbar gehört hatte, drehte sich noch
einmal um. Seine Augen blitzten voller Hass.
    »Meiner Frau und meiner Tochter auch nicht.« Dann ging
er mit wütenden, ausladenden Schritten weiter.
    Friedrich spürte, dass Leo ihn von der Seite ansah.
    »Glaubst du auch, dass es besser ist, sich nicht zu wehren?«
    Friedrich zögerte. Natürlich konnte es nicht falsch sein, sich
zu wehren, wenn einem Unrecht angetan wurde. Aber manchmal
war es vielleicht einfach zu spät, und man zog besser den
Kopf ein, bevor es noch schlimmer wurde.
    »Meistens nicht«, sagte er schließlich. »Aber wenn man vorher
weiß, dass man den Schaden nur noch größer macht …«
    »Das ist mir zu theoretisch«, sagte Leo. »Manchmal kann
man nicht lange überlegen. Da kommt es auf Reflexe an. Und
dann gibt es zwei Sorten von Leuten: Die einen wehren sich
und die anderen ducken sich. Und wenn es mehr von den
einen und weniger von den anderen gäbe, dann hätten wir den
ganzen Schlamassel jetzt nicht!«
    »Ich glaube nur, viele verstehen den Unterschied gar nicht.
Die ducken sich einfach weiter. Schau mal, da!«
    Leo wies auf ein Eckhaus an der Kreuzung zwischen Kirschenallee
und Ebereschenallee. Aus dem Fenster im oberen
Stockwerk hing eine rote Fahne, die sich im Wind leicht
blähte. Als Friedrich genau hinsah, entdeckte er in der Mitte
der Fahne eine runde Stelle, an der das Rot etwas kräftiger war.
Auf einmal begriff er, was Leo gemeint hatte: Da hatte jemand
einfach den weißen Kreis mit dem Hakenkreuz abgetrennt.
Und dann fiel ihm auch wieder ein, dass aus genau diesem
Fenster die letzten Jahre über meistens eine Hakenkreuzfahne
gehangen hatte.
    Schließlich standen sie wieder vor ihrem Haus, vor dem
immer noch Sirinows Wagen parkte. Dahinter stand ein offener
Lastwagen, dessen Ladefläche mit dem unterschiedlichsten
Krempel vollgepackt war, der wer weiß woher stammte: säckeweise
Kartoffeln, Holzkisten mit Gemüse, aber auch Hausrat,
Möbel, zusammengerollte Teppiche und skurrile Souvenirs,
darunter ein ganzes Bündel mit zusammengeschnürten Hitlerbildern
in Holzrahmen. Friedrich stellte sich vor, wie diese
Soldaten ihren Frauen zu Hause neben Uhren und Schmuck
solche Porträts als Mitbringsel aus dem Krieg überreichten.
Ein absurder Gedanke.
    Aus dem Inneren des Hauses drang die laute Musik einer
Ziehharmonika. Im Garten standen einige Russen aus Koschkas
Kompanie und tranken aus Blechtassen. Als sie die drei
Ankömmlinge sahen, begrüßten sie sie freundlich, und einer
warf Koschka eine Wodkaflasche zu, die dieser lässig mit einer
Hand auffing. Wieder hörte man Schüsse auf der Straße und
hier und da brandete heiserer Jubel auf.
    Das Wohnzimmer hatte sich in der kurzen Zeit mit Menschen
gefüllt. Soldaten drängelten sich um den Tisch und ließen
Flaschen kreisen. Zigarettenrauch stieg auf. Zwischen den
Russen erkannte Friedrich einige Nachbarinnen, die nicht so
recht zu wissen schienen, was sie mit sich anfangen sollten.
Die Soldaten dagegen fühlten sich offenbar wie zu Hause.
Eine merkwürdige Feierstimmung lag in der Luft.
    Friedrich wurde unbehaglich zumute. Bisher hatte es bei
ihnen dank Sirinows Anwesenheit keinerlei Ärger mit ungebetenen
Besuchern gegeben. Aber jetzt, wo der Oberst offenbar
unterwegs war … Was würde er tun, wenn die Situation
außer Kontrolle geraten sollte? Er dachte an den Russen, der
dort auf dem Tisch in seinem Blut gelegen hatte. Immerhin
kamen ihm die meisten Gesichter hier bekannt vor, alles Leute
aus Sirinows Kompanie. Wahrscheinlich war es sogar sicherer,
die im Haus zu haben als gar keine Soldaten. Friedrich warf
einen Seitenblick auf Leo, der ihn aufmunternd anlächelte.
    »Joschek!«, schrie jetzt einer der Soldaten aus dem Wohnzimmer,
ein magerer Kerl mit vielen Zahnlücken. Er kämpfte
sich durch

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