Schattenspieler (German Edition)
hier
gerne mal …« Er suchte nach dem Wort.
»Gelyncht«, sagte Sommerbier. »A propos: Haben Sie diesen
Hitler schon?«
Golubew grinste und stieg auf den ironischen Ton ein.
»Nein. Warum, wollen Sie ihn sprechen?«
Als Sommerbier ein paar Minuten später in dem Jeep saß,
der sich seinen Weg durch Kolonnen von Soldaten und Fahrzeugen
bahnte, wusste er, dass er Golubew im Sack hatte.
Nach einer halben Stunde hielt der Jeep irgendwo in Reinickendorf
vor einem großen, unzerstörten Gebäude, das
wahrscheinlich einmal eine Behörde beherbergt hatte. Über
dem Eingang war ein gemeißelter Adler mit Hakenkreuz angebracht.
Auf der Straße davor herrschte ein heilloses Durcheinander
aus Fahrzeugen und Pferdefuhrwerken. Neben dem
Eingang hockte eine Gruppe von betrunkenen Soldaten auf
lederbezogenen Stühlen vor einem Feuer aus Akten.
Golubew ging voran ins Gebäude. Im Treppenhaus lag überall
Abfall herum: halb leere Konservenbüchsen, leere Flaschen
und vor allem Akten und immer wieder Akten, die offenbar
einfach über das Geländer nach unten geworfen worden
waren. Golubew schien das Chaos peinlich zu sein. Er bahnte
sich seinen Weg durch eine weitere Gruppe von Soldaten, die
einen Deutschen in einem teuren Anzug mit Fußtritten zum
Ausgang trieben. Der Leutnant achtete nicht weiter darauf.
Im ersten Stock zweigten von einem langen Gang in regelmäßigen
Abständen Bürotüren ab. Golubew betrat den ersten
Raum auf der linken Seite, ließ sich hinter einen Schreibtisch
fallen und bedeutete Sommerbier, auf einem Besucherstuhl
davor Platz zu nehmen. Dann zog er eine Schublade auf,
fischte eine Packung Zigaretten hervor und bot Sommerbier
eine an.
»Die Sache ist die …«, begann er.
Weiter kam er nicht. Unten war etwas im Gange. Das
Treppenhaus hallte wider vom Kreischen einer Frau, das abgewürgt
wurde und in ein Wimmern überging, während eine
Männerstimme sie auf Russisch anbrüllte, ruhig zu sein. Der
Lärm kam die Treppe hinauf, hallte noch kurz im Treppenhaus
nach und näherte sich dann auf dem Gang. Golubews
Augen verengten sich. Durch die Tür sah man jetzt einen Soldaten,
der eine junge Frau mit halb zerrissenem Kleid hinter
sich herschleifte. Sie strampelte, aber er hatte ihren Kopf unter
seinen Arm geklemmt und zerrte sie weiter. Ein Schuh fiel von
ihrem Fuß und blieb als unwirkliches Relikt der kurzen Szene
genau vor der Schwelle zur Bürotür liegen. Weiter unten im
Korridor knallte es zweimal, als eine andere Tür zuerst aufgetreten
und dann von innen wieder zugeworfen wurde. Danach
war es still. Von der Straße drang gedämpft das Johlen
der betrunkenen Soldaten herauf.
Sommerbier steckte sich betont lässig die Zigarette an und
nahm einen Zug. Er deutete mit dem Kopf zum Gang hinaus.
»Seit wann ist so etwas in der sowjetischen Armee erlaubt?«,
fragte er.
Golubew sah ihn wütend an. »Was wissen Sie denn schon?«,
gab er zurück. »Sie spielen hier den Gentleman in Ihrer Fliegermontur
von der Royal Air Force. Sie haben den Krieg damit
verbracht, sich ein paar schicke Duelle mit der Luftwaffe zu
liefern, um beim Sonntagsspaziergang vor den englischen
Mädchen damit anzugeben.«
»Na ja«, sagte Sommerbier, ohne sich aus der Ruhe bringen
zu lassen. »Ganz so war es nun auch nicht.«
Golubew überging die Bemerkung und redete sich zunehmend
in Rage. »Wenn Sie es genau wissen wollen«, blaffte er
Sommerbier an und zeigte mit dem Daumen in die Richtung,
in die der Soldat mit der Frau verschwunden war. »Ich könnte
jetzt nach drüben gehen und ihn erschießen, weil er eine Frau
vergewaltigt.«
»Und warum tun Sie es nicht? Weil es nicht gegen die Vorschriften
ist, dass er sie vergewaltigt, oder weil es gegen die
Vorschriften wäre, ihn zu erschießen?«
Sommerbier spürte, wie das Kräfteverhältnis zwischen ihnen
sich zu seinen Gunsten neigte. Und Golubew wurde noch
wütender, weil er es auch merkte.
»Die Faschisten haben sechs Jahre lang einen ganzen Kontinent
vergewaltigt. Aber Sie kennen das alles nur von oben.
Über den Wolken scheint ja immer die Sonne. Sie klinken
auf Signal Ihre Ladung aus und brauchen anschließend nicht
einen Gedanken daran zu verschwenden, ob Sie die Munitionsfabrik
getroffen haben oder vielleicht doch ein Krankenhaus.
Und kurz bevor alles vorbei ist, lassen Sie sich abschießen, und
nachdem wir Ihren galanten Hintern gerettet haben, haben Sie
auch noch die Stirn, uns über Vorschriften zu belehren.«
Sommerbier war beeindruckt, wie fehlerfrei Golubew
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