Schattenspieler (German Edition)
gebildet und tropfte träge über die Kante auf den
Teppich. In der anderen Ecke des Zimmers hatten zwei andere
Russen eine weinende Frau gepackt, hielten sie an den Haaren
fest und schrien auf sie ein. Im Hintergrund spielte ein Grammophon Lili Marleen . Die Platte hatte einen Sprung und die
getragene Altstimme wiederholte immer wieder das gleiche
Wort: »Zapfenstreich«, untermalt von einem Trommelwirbel.
Ihr Eintreten brachte das Geschrei zum Verstummen und
alle blickten sie an. Während Friedrich noch überlegte, was sie
tun könnten, ergriff dieser Koschka das Wort, und erstaunlicherweise
entspannte sich die Lage etwas. Die beiden Soldaten
vor dem Bücherregal senkten ihre Waffen. Ihre Gefangenen
blickten weiter stumm zu Boden. Immerhin ließen die anderen
beiden Russen die Frau los, die langsam an der Wand
zu Boden rutschte und, das Gesicht in die Hände gestützt,
regungslos dort sitzen blieb. Friedrich entdeckte ein blutverschmiertes
Messer auf dem Boden und begriff langsam, was
passiert war. Die Frau hatte sich gewehrt, als der Soldat über
sie herfiel. Irgendwie hatte sie das Messer zu fassen bekommen.
Und jetzt verblutete der Russe auf dem Tisch. Das Grammophon
dudelte immer noch den entnervenden Liedfetzen.
Einer der Männer gab ihm einen Tritt, sodass es mit einem
Kreischen verstummte.
Inzwischen nahm Koschka, der offenbar den höchsten
Dienstrang von allen Anwesenden hatte und mehrere Orden
auf der Brust trug, die anderen ins Verhör. Es wurde viel gestikuliert;
man sah, dass sie versuchten, sich zu rechtfertigen.
Einer hob das Messer auf und fuchtelte damit herum, bis
Koschka
ihn anbrüllte und er es wieder weglegte. Irgendwann
kamen im Laufschritt zwei Sanitäter herein, hievten den Verletzten,
der zu keuchen aufgehört hatte, auf eine Bahre und
trugen ihn hinaus.
Mittlerweile hatte sich die Lage so weit beruhigt, dass
keine weiteren Gewaltausbrüche mehr zu befürchten waren.
Koschka
gab noch ein paar Anweisungen, dann hängten die
Soldaten ihre Waffen wieder über die Schulter und trollten
sich. Aus der Eingangshalle drang inzwischen lautes Schnarchen.
Eine Weile versuchten die anderen ohne Erfolg, ihren
Kameraden zu wecken. Als selbst Ohrfeigen nichts halfen,
packten sie ihn unter den Armen und schleiften ihn hinaus.
Ihre Schritte knirschten auf zerborstenem Glas. Dann war es
still im Raum.
Die Frau, mit der sie gekommen waren, lief zu der Kauernden,
die offenbar ihre Schwester war, beugte sich zu ihr
hinab und redete auf sie ein. Die anderen fünf Hausbewohner
fingen sich langsam wieder, schienen aber nicht recht zu
wissen, wie sie sich nun verhalten sollten. Eine der Frauen
griff sich einen herumliegenden alten Lappen und begann mit
angeekeltem Gesicht, die Blutlache vom Tisch aufzuwischen.
Ein dunkelroter Rand blieb zurück. Einer der Männer wandte
sich mit einem unsicheren Lächeln an Koschka.
»Wir stehen in Ihrer Schuld«, sagte er. Es klang furchtbar
steif.
»Gehen wir«, sagte Koschka nur.
Von den Soldaten war nichts mehr zu sehen. Die Menschen,
die vor dem Haus gestanden hatten, zerstreuten sich langsam.
Koschka blieb im Vorgarten stehen und zündete sich eine Zigarette
an. Leo blickte ihn an, als erwartete er eine Erklärung.
Der Russe starrte eine Weile vor sich hin. Fast schien es Friedrich,
als suchte er nach einer Rechtfertigung.
»Warum tut ihr das?«, fragte Leo schließlich.
»Bei euch gibt es ein Sprichwort«, sagte Koschka schließlich.
»Wie es schallt in den Wald … oder so ähnlich.«
»Aber …«
Koschka blickte auf. »Die Frau war dumm«, sagte er. »Sie
hätte sich nicht wehren dürfen.«
Leo starrte ihn empört an. »Sich nicht wehren? Was hättest
du denn gemacht?«
»Mich gewehrt«, sagte Koschka.
»Na also!«
»Aber es war dumm. Sie hat alle in Gefahr gebracht. Wenn
wir nicht wären gekommen, sie wäre vielleicht jetzt tot. Und
die anderen auch.«
Leo wollte etwas erwidern, als es auf der Straße ein paar
Mal knallte. Ein kleiner Pulk von Soldaten stand dort und
feuerte lachend mit Pistolen in die Luft. Von irgendwoher
wurde geantwortet. Ein paar Sätze wurden hin und her geschrien
und einer der Soldaten schlug einer Sektflasche an der
Gartenmauer des gegenüberliegenden Hauses den Hals ab.
Ein weißer Schwall aus Schaum ergoss sich auf die Straße. Der
Soldat, ein untersetzter Kerl, dem eine breite Narbe quer über
das Gesicht lief, prostete ihnen über die Straße hinweg zu.
»Chitler kaputt! Gebbels kaputt! Alles kaputt!«, schrie er. Es
klang
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