Schattenspieler (German Edition)
witzelte Friedrich, während sie durch den
Eingang wanderten. »Umsonst in den Zoo.«
»Nach umsonst sieht mir das nicht aus«, sagte Leo, der
trotz allem erleichtert war. Schlimmes schien ihnen jedenfalls
nicht bevorzustehen: Der Russe war gar nicht mehr schlecht
gelaunt, obwohl er seine Uhrensammlung nicht hatte bereichern
können. Er pfiff eine schmissige Melodie, während er
sie vorwärtsscheuchte.
Der Zoo bot einen tristen Anblick. Sie wanderten über eine
breite Allee, die von Kratern übersät war. Offensichtlich hatte
es hier heftige Kämpfe gegeben. Schützengräben verliefen
kreuz und quer über das Gelände, und hier und da lagen zerstörte
Militärfahrzeuge herum. Der von Panzerketten aufgewühlte
Boden war übersät mit Splittern und Patronen. Auch
die Bäume hatten schwer gelitten: Dicke Äste bedeckten die
Wege und von einigen Bäumen ragten nur noch zersplitterte
Stümpfe in den Himmel. Dahinter erahnte man die Ruinen
der Tierhäuser. Die brutalen Verwüstungen standen in scharfem
Kontrast zu der friedlichen Stille, die alles umgab. Vom
blauen Himmel schien die Sonne zwischen einzelnen Schäfchenwolken.
In der Ferne keckerte ein exotischer Vogel. Ansonsten
war nur das Knirschen ihrer Schritte zu hören.
Auf der rechten Seite tauchte jetzt ein großes Freilandgehege
auf, dessen Mauer noch halbwegs intakt war. Als er
genauer hinsah, traute Leo seinen Augen kaum: Zwei Löwen,
Männchen und Weibchen, lagen in der Steppenlandschaft
und dösten vor sich hin, als hätten sie die ganzen letzten Jahre
über nichts anderes getan. Friedrich beschrieb Marlene halblaut,
was er sah, und sie nahm alles mit einem Nicken zur
Kenntnis. Der Russe trieb sie zur Eile an.
Nachdem sie einen künstlichen See umrundet hatten,
tauchte ein riesiger Bau mit eingestürztem Kuppeldach vor
ihnen auf. Leo erinnerte sich vage daran, dass hier das Antilopenhaus
gestanden hatte. Da und dort waren Frauen zu sehen,
die in großen Körben die überall herumliegenden Granatsplitter
einsammelten.
Ein Schuhschnabel kreuzte ihren Weg. Der hüfthohe Vogel
stolzierte gelassen daher und schien still vor sich hin zu lachen.
»Sag mal, was hat der eigentlich mit uns vor?«, fragte Friedrich
und wies mit dem Kopf nach hinten. »Der wird doch
wohl nicht von uns verlangen, dass wir ihm hier gleich ein
Straußenfilet braten oder so?«
Leo grinste. »Oder Krokodilschwanzsuppe kochen.«
»Dann schon lieber Nilpferdragout.«
»Oder geschmorten Pavianhintern mit Klößen.«
»Igitt! Mir wird gleich schlecht! Und alles nur, weil du keine
Uhr hast!«
Leo wollte gerade antworten, da rief der Soldat einem jungen
Mann mit freiem Oberkörper und Baskenmütze etwas auf
Russisch zu, der vor einem schwer beschädigten Ziegelbau auf
einem umgestürzten Baum saß und eine Gruppe von Männern
beaufsichtigte, die einen Bombentrichter zukippten. Der
andere antwortete etwas, stand auf und kam ihnen entgegen.
Im Gehen griff er sich zwei Schaufeln, die an einem verbogenen
Gitterzaun lehnten.
»Da Arbeit!«, sagte der Russe mit den vier Uhren und machte
eine scheuchende Bewegung. Der mit der Baskenmütze nahm
sie grinsend in Empfang. Im Gesicht und an den Händen war
er braun gebrannt. Sein muskulöser Oberkörper war dagegen
kalkweiß.
»Herzlich willkommen im freiwilligen Arbeitskommando!«,
sagte er jovial.
»Von freiwillig kann wohl kaum die Rede sein«, maulte
Friedrich.
»Na, na! Wir wollen doch alle, dass es hier wieder schön
wird!« Damit drückte er Friedrich und Leo je eine Schaufel
in die Hand. »Ich denke, die Arbeit erklärt sich von selbst.«
Er warf einen Blick auf Marlene. Einen kurzen Augenblick
lang schien er irritiert, dann kehrte das launige Lächeln auf
sein Gesicht zurück.
»Ich nehme an, die junge Dame ist freigestellt. Darf ich
Ihnen meinen Arm reichen?«, fragte er charmant. Marlene
zögerte.
Der Mann warf Friedrich einen kurzen Blick zu. »Deine
Schwester, oder?«
»Woher …«
»Sieht man«, sagte der junge Mann und lächelte. Er war
nicht unsympathisch.
»Ich passe auf sie auf. Mach dir keine Sorgen.«
Friedrich blickte skeptisch, aber der junge Mann kümmerte
sich nicht darum und wandte sich wieder an Marlene.
»Wie heißt du?«
»Marlene«, sagte sie etwas verdutzt.
»Gut. Ich bin Bernhard. Und ich zeige dir jetzt etwas. Da
hinten am Wasser liegt ein dicker Nilpferdbulle. Er heißt
Knautschke. Knautschke ist vor zwei Jahren hier geboren worden.
Ich schlage vor, wir beide setzen uns jetzt da drüben hin
und ich
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