Schattenspieler (German Edition)
fragte Friedrich.
Mackensen schien selbst erleichtert, dass er das Thema
wechseln konnte. Und tatsächlich lockerte der Alkohol seine
Zunge weiter. »Eins von Rosenbergs Lieblingsprojekten war
eine Art weltanschaulich geprägte Eliteuniversität. Den ERR
hat er im Sommer 1940 gegründet, um in den besetzten Ländern
Material über unsere Gegner zu sammeln und damit eine
Bibliothek für diese Universität aufzubauen. Rosenberg hat
den Führer beschwatzt, und der hat ihm die Vollmacht gegeben,
über den ERR alles zu beschlagnahmen, was er haben
wollte. Wirklich alles.«
Mackensen leerte sein Glas und kam jetzt richtig in Fahrt.
Seine Augen sprangen zwischen ihnen hin und her.
»Wir haben mit Bibliotheken und Archiven in Paris angefangen
und mit den privaten Wohnungen der Juden weitergemacht.
Die waren ja fast alle geflohen, bevor wir kamen.
Wir haben also die Wohnungen versiegelt und hinterher in
aller Ruhe die Einrichtung abgeholt. Offiziell hieß das Sicherstellung
von herrenlosem Besitz. Aber jeder wusste, dass das
in Wirklichkeit nichts anderes war als staatlich genehmigte
Selbstbedienung. Viel interessanter als die ganzen Papiere
waren nämlich die Kunstwerke, Bilder und Skulpturen, die
antiken Möbel und der Schmuck. Wir durften sogar Schließfächer
öffnen lassen. Mit bewaffneter Eskorte rein in die Bank,
alles vorlegen lassen, die besten Stücke aussuchen, einpacken
und auf Wiedersehen. Wie bei einem Banküberfall. Aber anders
ging es auch gar nicht, denn die Konkurrenz schlief ja
nicht.«
Mackensen zuckte nur mit den Schultern, als resignierte
er selbst über so viel Dreistigkeit. Leo war überrascht, mit
welcher Offenheit dieser Mann über die Machenschaften redete,
an denen er bis vor Kurzem noch beteiligt gewesen war.
Der Wodka schien jetzt jedes Misstrauen in ihm abgetötet zu
haben. Vielleicht war er sogar froh, dass ihm jemand zuhörte.
»Welche Konkurrenz?«, fragte Friedrich.
Mackensens glasige Augen verengten sich, als hätte er
immer noch eine Rechnung mit jemandem offen.
»Alle! Das Auswärtige Amt hatte eine eigene Truppe zum
Beschlagnahmen von Kunstschätzen für Diplomatenwohnungen
aufgebaut. Sonderkommando Künsberg. Die hatten
sich in Polen gerade warmgelaufen. Für Hitler war ein gewisser
Hans Posse unterwegs, der sollte in Linz das größte
Museum Europas aufbauen. Und Göring hatte einen ganzen
Stab von Experten, die Posse meistens um eine Nasenlänge
voraus waren und die besten Stücke für seine Privatsammlung
abstaubten. Abgesehen davon war der dicke Göring auch
selbst Stammgast in unserem Pariser Depot. Kam mit seinem
Sonderzug aus Deutschland angereist, immer in Champagnerlaune
und jedes Mal die Taschen voller Geld. Er hatte ein
paar Leute in Den Haag, die für ihn auf dem Kunstmarkt
kauften und verkauften. Das waren die geldgierigsten Kerle,
die ich je getroffen habe. Die bezahlten über Sonderkonten
beschlagnahmte Kunst aus Frankreich mit beschlagnahmtem
Geld aus Polen. Das war der reinste Goldrausch!«
Mackensens Augen leuchteten jetzt. Leo spürte, dass er
im Grunde immer noch stolz darauf war, bei diesem großen
Beutezug dabei gewesen zu sein.
»Und Rosenberg?«, fragte Friedrich.
»Rosenberg«, stieß Mackensen spöttisch hervor und
schenkte sich nach, wobei die Hälfte des Wodkas neben dem
Glas auf dem Tisch landete und eine kleine Lache bildete.
»Der wusste doch gar nicht, was da lief. Wir haben ihm geschickt,
was er haben wollte. Ich weiß ja nicht, was dein Vater
dir erzählt hat, aber mit Weltanschauung hatte der ERR so viel
zu tun wie die Inquisition mit der christlichen Nächstenliebe.
Einer unserer besten Gutachter war ein jüdischer Sozialdemokrat,
den wir unter einem Vorwand aus dem Konzentrationslager
geholt haben. Natürlich gab es auch bei uns ein paar von
diesen Spielverderbern, die uns ständig das Parteiprogramm
unter die Nase halten wollten. Aber die kamen erst wieder
ans Ruder, als der Kuchen schon mehr oder weniger verteilt
war. Ich kann mich allerdings daran erinnern, dass dein Vater
später doch noch Ärger mit denen hatte. Da ging es um die
Wolowski-Sammlung.«
»Nie gehört«, sagte Friedrich, der stocksteif auf seinem Stuhl
saß. Leo spürte, dass sein Freund innerlich vor Aufregung fast
zerplatzte.
Mackensen sah aus, als hätte Friedrich gerade gesagt, dass
er nicht wisse, wie die Hauptstadt von Frankreich hieß. Doch
dann schluckte er seinen Kommentar herunter und sprach
weiter. Er schien sich wirklich zu freuen, endlich mit seinem
Wissen
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