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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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nachdenklichen
Themawechsel.
    Für den Rest des Konzerts verlor Leo jedes Zeitgefühl. Als
der Applaus aufbrandete, erwachte er wie aus einer tiefen
Trance. Das Klatschen wollte kein Ende nehmen, vor allem
die Russen applaudierten sich in einen regelrechten Rausch,
begleitet von Rufen und Pfiffen. Es dauerte fast eine Viertelstunde,
bis sie den Pianisten von der Bühne ließen. Schließlich
erloschen die Scheinwerfer und der ersterbende Applaus
ging über in eine Geräuschkulisse aus Gesprächen.
    Wilhelm straffte sich, wie um seine Ergriffenheit abzuschütteln.
Er sah Leo und Friedrich unternehmungslustig an.
    »Kommt mit«, sagte er. »Es gibt noch eine kleine Feier. Ich
will euch jemanden vorstellen.«
    Nachdem Marlene und ihre Mutter sich verabschiedet hatten,
folgten sie Wilhelm durch das Gedränge zu einer langen
Theke, die dort aufgebaut war, wo früher die Garderobe der
Konzerthalle gewesen war. Hinter dem Tresen standen zwei
Dutzend Kellner mit weißen Schürzen im Licht der provisorisch
reparierten Lampen, öffneten Flaschen und schenkten
großzügig ein. Korken knallten. Getränke wurden durchgereicht.
Und ehe Friedrich und Leo sich versahen, hatte jeder
von ihnen ein Sektglas in der Hand. Um sie herum standen fast
nur Offiziere: Olivgrüne, braune und dunkelblaue Uniformen
schoben sich aneinander vorbei, dazwischen einige Militärpolizisten
mit weißen Helmen und Gamaschen. Überall blitzten
Orden auf. Joviales Schulterklopfen. Zigarettenqualm.
    Ein gemütlich aussehender britischer Offizier schälte sich
aus dem Gedränge, kam auf Wilhelm zu und schlug ihm gutmütig
auf die Schulter, während er sein Glas hob.
    »Was für eine Vorstellung! Ich dachte immer, die Russen
könnten nur Quetschkommode spielen«, sagte er in perfektem
Deutsch mit ganz leichtem englischem Akzent.
    Dann fiel sein Blick auf Friedrich und Leo. »Wen haben wir
denn da?«
    Wilhelm stellte sie vor. Sie hatten das Vergnügen mit Major
Parks, der nun eine lockere Plauderei über russische Komponisten
vom Zaun brach. Bald sprach nur noch er selbst und
sie hörten höflich zu. Wilhelm schaute sich leicht gelangweilt
um, schien dann weiter hinten in der Menge jemanden zu entdecken,
gab Leo ein Zeichen und verschwand. Parks blickte
ihm kurz irritiert hinterher, dann setzte er seinen Monolog,
an die beiden gewandt, fort.
    »Woher können Sie denn so gut Deutsch?«, fragte Friedrich,
um das Thema zu wechseln.
    »Ich habe in Berlin studiert, mein Junge. Von 1923 bis 1927.
Als das hier noch eine Metropole des Geistes war.«
    »Und was haben Sie studiert?«
    »Kunstgeschichte. Wie euer Freund, der sich gerade abgeseilt
hat, um sich dem lehrreichen Vortrag seines Vorgesetzten
zu entziehen.« Parks beugte sich verschwörerisch vor. »Wenn
ich ihn nicht auf dem kurzen Dienstweg zum Leutnant befördert
hätte, dann hätten ihn die Russen an der Sektorengrenze
gleich wieder zurückgeschickt. Das hat er wohl schon wieder
vergessen, euer Freund.«
    »Warum sind Sie denn jetzt beim Militär?«, fragte Friedrich.
    »Na, warum wohl?«, gab Parks zurück. »Weil der Krieg eine
Kunst ist.« Er grinste. »Eine Kunst, in der ihr Deutschen in
den letzten Jahren nicht gerade brilliert habt, wie man am Zustand
eures Landes sehen kann. Ihr solltet euch wieder auf das
Komponieren verlegen. Oder aufs Philosophieren. Da macht
euch niemand was vor. Haltet euch an Beethoven und Kant,
dann versohlt euch auch keiner den Hintern.«
    Dann erblickte er plötzlich jemanden in der Menge hinter
ihnen. »Herr Oberst!«, rief er über ihre Köpfe hinweg und hob
wieder sein Glas. »Gesellen Sie sich zu uns! Oder dürfen Sie
nicht mit dem Klassenfeind anstoßen?«
    Leo drehte sich um und traute seinen Augen nicht. Durch
die dicht gedrängten Körper zwängte sich eine wohlbekannte
Gestalt. Es war Sirinow.
    »Darf ich vorstellen?«, begann Parks. »Oberst Igor Sirinow,
der alleinige Eroberer von Berlin. Oder hat Ihnen jemand geholfen?«
    »Natürlich nicht«, lachte Sirinow.
    »Sehen Sie? Genau wie Hitler! Dem will jetzt auch keiner
mehr geholfen haben. Ganz Europa erst erobert und dann abgebrannt.
Und alles allein! Fragen Sie mal rum in Deutschland!
Keiner hat mitgemacht!«
    Parks lächelte selbstzufrieden, dann fiel sein Blick auf Leo
und Friedrich. »Aber ich bin unhöflich. Ich wollte Ihnen die
beiden jungen Herren hier vorstellen.«
    »Wir kennen uns bereits«, meinte Sirinow. Er gab den beiden
Jungen die Hand.
    »Ach, so ist das«, spottete Parks. »Noch schnell ein

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