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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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Halle stand der Bürobau, der von den Luftangriffen
schwer verwüstet worden war. An der Stirnseite neben
der Treppe zum Portal waren drei nach unten zeigende weiße
Pfeile aufgepinselt. Die Kennzeichnung für den Luftschutzraum,
damit Passanten bei Alarm wussten, wohin sie sich
flüchten konnten. Leo blieb in einiger Entfernung stehen. Da
unten hatte er gelebt. Achtzehn lange Monate.
    Friedrich stand neben ihm und hatte den Arm um seine
Schulter gelegt.
    »Wie sind sie eigentlich auf das Versteck gekommen?«,
fragte er.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Leo. Friedrichs Arm auf seiner
Schulter machte den Anblick dieses schrecklichen Ortes
erträglicher. Es kam ihm vor, als übertrüge sich eine Kraft auf
ihn.
    »Die Nazis hatten Bamberger schon immer auf dem Kieker,
weil er nie einen Hehl daraus gemacht hat, was er von ihnen
hielt. Und er hat sie provoziert, wo er konnte. Er hat den Klavieren
Namen von jüdischen Komponisten gegeben. Weißt
du, was er gemacht hat, als sie durchblicken ließen, dass die
staatlichen Orchester nur noch bei ihm kaufen, wenn er die
Juden entlässt, die für ihn arbeiten?«
    »Was denn?«
    »Er brachte das Modell Mendelssohn auf den Markt.« Leo
konnte nicht anders, er musste lachen. »Das lief aber ziemlich
schlecht. Meinem Vater hat er schließlich doch gekündigt,
damit sie ihn in Ruhe lassen. Und dann hat er ihn einfach ohne
Papiere weiterbeschäftigt. Gleiche Arbeit, gleiches Gehalt.«
    Leo legte Friedrich ebenfalls den Arm um die Schulter. Eine
Weile standen sie so da wie zwei Schuljungen nach der Besiegelung
ihrer Blutsbrüderschaft. Diese Erfahrung fehlte Leo,
mit ihm hatte bisher niemand Blutsbrüderschaft schließen
wollen. Und dennoch durchströmte ihn jetzt eine Ahnung
vom Gefühl der Unbesiegbarkeit, das so eine Freundschaft
mit sich brachte.
    »Willst du reingehen?«, fragte Friedrich.
    »Nein. Für heute reicht's. Lass uns nach diesem verdammten
Sommerbier suchen.«
    Sie gingen die Straße hinab bis zum Eingang der Möbelfabrik
und traten durch das Tor. Das Eisengitter, mit dem die
Einfahrt einmal verschlossen gewesen war, lag völlig verbogen
daneben. Auch hier war niemand auf dem Gelände zu sehen.
Die Ruine musste schon vor langer Zeit verlassen worden sein:
Zwischen den Trümmern wuchs das Unkraut an einigen Stellen
fast kniehoch. In einer Ecke des Hofes lag ein abgeschossenes
britisches Flugzeug.
    Sie streiften über das Gelände, in der Hoffnung, irgendeinen
Hinweis zu finden, eine Spur, dass jemand hier gewesen
war. Nichts. Die beiden Hallen mit den eingestürzten Dächern
waren wie leer gefegt.
    Sie betraten das Verwaltungsgebäude. Alle Büros waren bis
auf die Möbel ausgeräumt. Hier und da waren Spuren eines
flüchtigen Aufenthalts russischer Soldaten zu sehen, die üblichen
Flaschen, Zigarettenkippen und ein paar Konservendosen.
Am Ende eines Korridors im ersten Stock lag ein größerer
Büroraum, an dessen Stirnseite ein aufgeschweißter Panzerschrank
stand. Er war ebenfalls leer.
    Vor dem Gebäude führte eine Treppe zu einem Luftschutzstollen
hinunter. Die Tür stand offen. Leo blickte Friedrich
an und der nickte.
    Sie stiegen die Treppe hinab. Dämmerlicht und kalte Betonwände
empfingen sie, an denen in gleichmäßigen Abständen
noch die beim Entfernen der Verschalungen stehen gebliebenen
waagerechten Grate zu sehen waren. Leo wurde langsam
unheimlich zumute. Nach ein paar Metern machte der Gang
einen Knick. Dahinter war es völlig dunkel. Friedrich fand
einen Schalter und drückte darauf. Zu Leos Überraschung
flammte ein fahles Licht auf.
    Während sie tiefer in den Korridor vordrangen, wurde Leo
immer beklommener zumute. Der Gang machte eine Biegung
nach der anderen. Bald begriff Leo, wie der Stollen angelegt
war, nämlich in Form einer eckigen Schlangenlinie.
    »Irgendwie beklemmend hier«, sagte Friedrich. »Ich bin
froh, wenn ich wieder draußen bin.«
    Mit jeder weiteren Biegung wuchs in Leo das Gefühl, dass
hinter der nächsten Ecke etwas Schreckliches auf sie lauerte.
Aber dann empfingen sie doch nur immer wieder die aschgrauen,
gleichgültigen Betonwände.
    Und dann war der Gang auf einmal zu Ende. Ein paar Meter
hinter der letzten Biegung wuchs eine graue Wand empor.
    Doch es war jemand hier gewesen. Auf dem Boden lagen
vergammelte Essensreste, leere Büchsen und Flaschen, genug,
um jemanden gut und gerne eine Woche lang zu ernähren.
    Leo spürte eine Gänsehaut im Nacken.
    »Meinst du, das war Sommerbier?«, fragte Friedrich.
    Leos

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