Schattenspieler (German Edition)
bisschen
verbrüdern, bevor Sie uns Charlottenburg übergeben?«
Vergnügt stieß Sirinow sein Glas gegen das von Parks. »Wer
sagt, dass wir Ihnen Charlottenburg übergeben? Nasdrowje!
Auf Stalin!«
»To your health! Auf Churchill!«
Leo war völlig irritiert, mit welcher Ungezwungenheit die
beiden sich auf Deutsch unterhielten. Sirinow und Parks wirkten
wie zwei alte Käuze, die ihr ganzes Leben damit verbracht
hatten, sich in aller Freundschaft zu streiten.
Parks schien seine Gedanken zu erraten.
»Da hört ihr es«, sagte er zu Friedrich und Leo gewandt,
aber so laut, dass Sirinow es auf jeden Fall mitbekam. »Abgemacht
war, dass wir Charlottenburg, Tiergarten, Spandau und
Wilmersdorf bekommen. Und jetzt halten sie uns wochenlang
hin. Und wisst ihr, warum?«
Sirinow ließ sich nicht so leicht aus der Reserve locken.
»Weil da noch alles vermint ist«, antwortete er. »Wir wollen
doch nicht, dass Ihre Leute in die Luft fliegen.« Er deutete mit
den Händen eine Explosion an.
Parks blickte ihn herausfordernd an. »Und um Ihre eigenen
Leute machen Sie sich keine Sorgen? Minenräumer haben wir
nämlich auch. Und wissen Sie, wofür wir die einsetzen? Zum
Minenräumen. Wie der Name schon sagt. Und nicht zum Demontieren
von Fabriken.« Er beugte sich zu Leo. »Das ist nämlich
der wahre Grund. Unseren Sektor bekommen wir erst,
wenn seine Männer dort die letzte Drehbank abgeschraubt
haben.«
Sirinow zuckte die Schultern. »Viele Fabriken hat die Air
Force uns sowieso nicht übrig gelassen.«
»Lieber Herr Oberst«, entgegnete Parks in einem Ton, als
wollte er Sirinow zur Vernunft bringen. »Wir sind doch hier
unter uns. Reden wir offen: Diese ganzen Drehbänke interessieren
uns gar nicht.«
Sirinow lachte auf und warf einen Blick in die schwatzende,
trinkende und rauchende Runde. »Unter uns?«
»So gut wie«, sagte Parks beschwichtigend. Seine Stimme
wurde leiser. Er blinzelte verschwörerisch. »Schicken Sie mir
das Bernsteinzimmer, und ich lege vor der nächsten Verhandlungsrunde
bei Lyne ein gutes Wort ein. Das Bernsteinzimmer
gegen einen der beiden Luftkorridore. Wie wär's?«
Eine Sekunde lang huschte ein überraschter Zug über Sirinows
Gesicht. Leo erinnerte sich an diesen Ausdruck. So hatte
der Oberst ausgesehen, als er ihn nach Sommerbier gefragt
hatte. Und wie damals in dem Dorf fing er sich auch diesmal
sofort wieder.
»Das Bernsteinzimmer«, sagte er. »Wenn Sie meine Einschätzung
wollen: Das liegt jetzt in irgendeiner bayerischen
Salzmine. Amerikanischer Sektor. Fragen Sie Eisenhower.«
Parks machte eine wedelnde Bewegung mit der Hand.
»Schon recht. Aber wie wär's mit dem Schatz des Priamos?
Soweit ich weiß, lagert der im Zoobunker. Bezirk Tiergarten.
Britischer Sektor. Lassen Sie den einfach liegen, wenn Sie mit
Ihren Drehbänken abziehen, und wir sind quitt.«
Sirinow lächelte und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
»Die Leiche von Adolf Hitler können Sie haben.«
»Was sollen wir denn damit? Ein Vorschlag zur Güte: Den
Pergamonaltar!«
»Abgemacht.« Sirinow hielt sein Glas hoch. »Nasdrowje!
Auf Schukow.«
»To your health! Auf Montgomery.«
Am Morgen nach dem Konzert erwachte Leo, während die
Sonne schon hoch am Himmel stand und durch die Ritzen
der Verdunkelung schien, die das Fenster abdeckte. Obwohl
der Krieg vorbei war, schloss Friedrichs Mutter immer noch
die Rollos wie aus einer alten Gewohnheit heraus.
Während er langsam aufwachte, kam die Erinnerung an
den Vortag zurück, und eine Welle der Erleichterung überströmte
ihn. Sein größter Wunsch war in Erfüllung gegangen:
Wilhelm war wieder da. Alles andere verblasste dagegen. Er
konnte sich nicht erinnern, beim Aufwachen jemals so glücklich
gewesen zu sein.
Der Vorabend fiel ihm wieder ein. Die Gäste des Empfangs
hatten sich nach und nach zerstreut. Geblieben war ein harter
Kern von sowjetischen Offizieren. Von irgendwoher war eine
Militärkapelle erschienen, hatte den Konzertflügel von der
Bühne gerollt und angefangen, immer schnellere Melodien
zum Besten zu geben. Bald hatten sich die ersten Tänzer im
stampfenden Rhythmus auf dem Parkett ausgetobt, Mützen
in die Luft geworfen und ein paar russische Sanitäterinnen
umhergewirbelt. Schließlich hatten er und Friedrich zusammen
mit den letzten Engländern die Ruine des Konzertsaals
verlassen. Wilhelm hatte sie nach Hause gefahren und ihnen
für einen der nächsten Tage eine, wie er sich ausdrückte, touristische
Führung der ganz besonderen Art
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