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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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Botschaftsakten
beschlagnahmt und sich dann auf Kunstschätze verlegt
hat. Sie haben im Herbst 1941 die Zarenschlösser bei Petersburg
auseinandergenommen und unter anderem das Bernsteinzimmer
nach Königsberg geschafft, falls euch das was
sagt. Und bald darauf sind sie in Kiew dem ERR in die Quere
gekommen. Der wurde von einem gewissen Gerhard Utikal
geleitet.«
    »Diesen Künsberg hat Mackensen auch erwähnt«, sagte
Leo.
    »Und in Kiew war mein Vater«, ergänzte Friedrich.
    »Das hat mir Leo schon erzählt«, erwiderte Wilhelm.
»Künsberg hat sich dann mit Utikal geeinigt und die Reviere
abgesteckt. Sommerbier war einer der Offiziere vom Sonderkommando
Künsberg, die im Rahmen dieser Einigung damals
zum ERR gewechselt sind. Da hat er wahrscheinlich deinen
Vater kennengelernt.«
    »Und vielleicht auch Gauleiter Koch«, sagte Friedrich.
    »Möglicherweise auch den«, bestätigte Wilhelm. »Unser
Problem ist jetzt, dass fast alle diese Leute untergetaucht sind.
Koch ist wie vom Erdboden verschwunden, Utikal und Künsberg
ebenfalls. Und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir
sie so schnell finden werden. Solche Leute haben Beziehungen.
Und sie wechseln ihren Namen wie andere die Hosenträger.«
    »Wie bist du eigentlich hergekommen?«, fragte Leo.
    Der brüske Themenwechsel schien Wilhelm einen Moment
lang zu irritieren. Dann lächelte er.
    »Ich bin mit einer Delegation von Generalmajor Lyne hier«,
sagte er. »Wir verhandeln über die Besatzungszonen. Also, ich
gehöre eigentlich nicht zur Delegation. Sie haben mich in
diese Uniform gesteckt, damit es keine Scherereien mit den
Sowjets gibt.«
    Er blickte auf die Uhr. »Heute Abend veranstalten die Russen
ein Konzert«, sagte er. »Habt ihr Lust?«
    Von oben tastete sich eine Etude durch das Haus.
    »Ich weiß, wer auf jeden Fall Lust hat. Meine Schwester!«,
rief Friedrich.
    Wilhelm lächelte.
    »Wie viele Karten haben Sie denn?«, fragte Friedrich.
    »Wir brauchen keine Karten«, sagte Wilhelm. »So unberechenbar
die Russen auch sein mögen – bei so was lassen sie
sich nicht lumpen. Aber eins würde mich noch interessieren.«
    »Ja?«, fragte Friedrich, der schon aufgesprungen war.
    Wilhelm kräuselte die Nase, als wollte er etwas Unanständiges
fragen.
    »Darf ich einen Blick auf den Rembrandt werfen?«

Der glatzköpfige Pianist nahm im gleißenden Licht der Strahler
auf seinem Schemel Platz und wischte mit einer unwirschen
Geste die Frackschöße nach hinten. Hinter ihm duckte
sich demütig das Orchester. Im Saal war es totenstill, während
er ohne jede Eile seine Partitur aufschlug.
    Eigentlich war es gar kein Saal mehr. Die Konzerthalle war
von den Bomben regelrecht zerlegt worden. Da, wo das Dach
gewesen war, glitzerte der Sternenhimmel. Die Außenmauern
waren ein gezacktes Relief aus weggerissenem Mauerwerk und
der Parkettboden war von den heruntergestürzten und später
weggeräumten Ziegeln völlig zerkratzt. Etwa dreihundert
Leute saßen auf den von überall herbeigeschafften Stühlen.
Die meisten von ihnen trugen Uniformen. Russen, Engländer,
Amerikaner, einige Franzosen.
    Leo hatte zwischen Wilhelm und Marlene Platz genommen,
neben der wiederum Friedrich und seine Mutter saßen.
    »Rachmaninow«, wisperte Wilhelm ihm zu. »Zweites Klavierkonzert.«
    »Moderato«, sagte Marlene.
    Der Pianist streckte seine Arme nach hinten, als wollte er
ausholen. Dann schwangen sie nach vorn und schwebten einen
Moment über den Tasten. Er senkte den Kopf. Und schließlich
schlich die erste Akkordfolge aus dem aufgeklappten Flügel,
unendlich sanft und wiegend. Das Klavier wurde schneller,
dann fielen die Streicher ein und schließlich wallte ein melancholisches
Thema zu den Sternen empor, untermalt von
rollenden Wellen des Klaviers, die wie geschmolzenes Gold
dahinwogten.
    Es war, als wollten die Instrumente die ganze Traurigkeit
und die ganze Hoffnung der zerstörten Stadt vor dem Himmel
ausbreiten. Leo liefen zum zweiten Mal an diesem Tag Tränen
über das Gesicht. Wilhelm legte ihm einen Arm über die
Schulter und zog ihn zu sich heran, sagte aber nichts.
    Das Klavier ging nun dazu über, dem Orchester Melodiebrocken
hinzuwerfen, die mal von den Streichern, dann wieder
von den Holzbläsern zögernd aufgenommen wurden. Die
ruhige Passage wich einem immer hitzigeren Dialog. Am Ende
wiederholten die Streicher das Anfangsthema, während der
Pianist in maßregelnden, fast militärisch knappen Akkorden
dagegen anhämmerte. Der Satz endete in einem

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