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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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wie
beiläufig ein paar Schritte in Leos Richtung.
    »Über zweitausend Jahre ist das alt«, sagte er wie zu sich
selbst und betastete vorsichtig das fließende Gewand einer
Göttin, die sich einen Weg durch das Getümmel zu bahnen
schien. »Was hätten diese griechischen Bildhauer wohl gesagt,
wenn sie gewusst hätten, was für Barbaren sich später um ihre
Werke balgen würden?«
    Leo überlegte kurz. »Vielleicht wären sie geschmeichelt,
dass sogar die Barbaren sich für das interessieren, was sie erschaffen
haben?«
    »Bildhauer erschaffen nichts«, gab Kugler zurück. »Sie befreien
das Kunstwerk von dem überschüssigen Marmor, in
dem es gefangen ist.«
    »Kennen Sie sich aus mit Kunst?«, fragte Leo.
    »Könnte man so sagen. Ich habe vor dem Krieg beruflich
sehr viel mit Kunst zu tun gehabt.«
    Er warf einen Blick auf Hunt, der immer noch gelangweilt
an seiner Uhr herumspielte.
    Und dann geschah etwas, womit keiner auch nur im Entferntesten
gerechnet hätte.
    Das Licht erlosch.
    Von einem Moment auf den anderen standen sie eingehüllt
in eine Finsternis, die schwärzer war als alles, was Leo bisher
erlebt hatte, weil es eben nicht nur einfach dunkel war, sondern
weil die meterdicken Wände des Bunkers neben dem
Licht auch noch jedes Geräusch von außen verschluckten.
    Einen kurzen Augenblick lang war es totenstill. Dann hörte
man hier und da Laute der Verwunderung.
    Und dann meldete sich Marlene zu Wort. Es dauerte einen
Moment, bis Leo begriff, was sie sagte. Nichts war so einleuchtend
und gleichzeitig so unwirklich wie diese drei trockenen
Worte.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    »Das Licht ist ausgegangen«, hörte Leo Friedrich sagen. »Es
ist dunkel.«
    »Ach so«, sagte Marlene völlig unbeeindruckt.
    Leo verharrte stocksteif an der Stelle, an der er gerade stand.
Seine Hand lag auf einem Löwenkopf. Er fühlte die Augen,
den Mähnenansatz, das aufgerissene Maul mit den Zähnen.
Das gerade noch gesehene Bild hallte in seinem Kopf eine
Weile nach, dann verblasste es und wurde zu kühlem Stein.
    »Haben Ihre Leute gerade das Elektrizitätswerk abgebaut?«,
fragte Parks in die Dunkelheit hinein.
    »Ein Stromausfall«, antwortete Sirinow von weiter hinten.
»Das kommt vor.«
    »Und jetzt?«, ließ sich Kugler vernehmen.
    Sirinow war es offenbar gewohnt, in heiklen Situationen
das Kommando zu übernehmen.
    »Hat jemand Feuer?«, fragte er.
    Verneinendes Murmeln. Keine Flamme erschien.
    »Wie immer«, spottete die Stimme von Parks. »Alle rauchen,
keiner hat Feuer.«
    »Marlene?«, fragte Sirinow.
    »Ja?«
    »Könntest du uns nach draußen führen?«
    »Natürlich«, sagte Marlene nur.
    Die Sprachlosigkeit war fast mit Händen zu greifen.
    »Wir treffen uns in der Mitte des Raumes«, sagte Sirinow
sachlich. Und wie um der Unwirklichkeit dieser grotesken Szenerie
die Spitze aufzusetzen, sagte Marlene: »Schade. Ich hätte
mir das Relief gern zu Ende angesehen.«
    Sie tasteten sich durch die Dunkelheit und fanden schließlich
zusammen. Leo bekam einen Arm zu fassen. »Das bin
ich«, sagte Friedrichs Stimme.
    »Wir bilden eine Kette.« Wieder Sirinow.
    Eine Hand kam aus dem Nichts und griff nach Leo. Er
fasste zu.
    »Ich bin's.« Das war Kugler, seine Hand war kräftig.
    Leo stieß mit dem Knie an etwas Hartes. Es musste eine der
Platten sein, die dort aufgereiht standen.
    »Alle bereit?« Sirinows Stimme, diesmal aus der anderen
Richtung. Zustimmendes Gemurmel kam halblaut aus der
Finsternis. Offenbar hatte die Kette sich formiert, Marlene an
der Spitze, dann Friedrich, Leo, Kugler und die anderen drei.
    Friedrich zog an, Leo setzte sich behutsam in Bewegung
und nahm Kugler mit. Er dachte daran, wie er in dem Jagdschloss
durch den Keller geschlichen war.
    »Jetzt links«, ließ sich Marlene vernehmen. Kurz darauf bog
Friedrich ab. Leo streifte die zurückspringende Wand. Das
war der Korridor zur Treppe.
    Es folgten die surrealsten Minuten, die Leo je erlebt hatte.
Hohe Offiziere der Besatzungsmächte waren von einem Augenblick
zum anderen völlig hilflos einem zwölfjährigen Mädchen
ausgeliefert, dessen Element die Dunkelheit war.
    »Achtung, Stufe«, ließ Marlene sich von vorn vernehmen.
    Und so ging es voran. Sie tasteten sich die Treppe hinab,
bogen ab, schlichen weiter. Hinter Leo begannen Wilhelm
und Parks ein halblautes Gespräch über den Pergamonaltar.
    Leo spürte Kuglers Körper dicht hinter sich.
    »Woher kennt ihr beide euch eigentlich, du und Friedrich?«,
fragte der Dolmetscher leise an Leos

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