Schattenspieler (German Edition)
der Straße hupte ein Auto. Parks blickte auf die Uhr.
»Gehen wir«, sagte er. »Wir wollen doch unseren lieben Sirinow
nicht warten lassen, wenn er uns schon so etwas anbietet.«
Leo und Friedrich tauschten einen weiteren Blick. Was ging
hier vor? Was meinte Parks mit dem inoffiziellen Ausflug?
Und warum war Sirinow dabei? Es wurde immer rätselhafter.
Vor dem Gebäude parkten zwei offene Jeeps mit britischen
Militärpolizisten am Steuer. An den Stoßstangen leuchtete
weiß das Kürzel SHAEF .
Während Parks mit Hunt und dem Dolmetscher in den ersten
Wagen stieg, kletterten Leo und Friedrich auf die Rückbank
des zweiten. Wilhelm nahm neben dem Fahrer Platz. Der
Soldat grüßte kurz, legte den Gang ein und der Jeep ruckte an.
»Wohin fahren wir denn nun?«, fragte Leo.
Wilhelm drehte sich um. »Nach Friedrichshain«, sagte er
geheimnisvoll. »Marlene kommt auch. Ich habe sie abholen
lassen, auch wenn Parks das erst nicht wollte. Der kleine Ausflug
wird ihr sicher gefallen.«
»Dann hat es was mit Musik zu tun«, mutmaßte Leo.
»Mitnichten.« Wilhelm überlegte kurz, dann warf er ihnen
einen weiteren Brocken hin: »Aber mit Kunst.«
»Was soll sie denn mit Bildern?«, fragte Friedrich.
Wilhelm machte ein mitleidiges Gesicht. »Kunst besteht
nicht nur aus Malerei, mein Lieber.«
»Also eine Skulptur?«
Wilhelm sagte nichts und lächelte nur.
»Was meinte dieser Parks denn mit einem inoffiziellen Ausflug?«, bohrte Friedrich weiter.
»Er meinte, dass ihr niemandem auf die Nase binden sollt,
was ihr gleich zu sehen bekommt. Und dass ihr nicht so viele
Fragen stellen sollt. Versprecht ihr mir das?«
Leo nickte, doch Friedrich blieb stur. »Eine letzte Frage
hätte ich noch«, beharrte er.
Wilhelm, der sich schon wieder nach vorn gewandt hatte,
drehte sich noch einmal um und rollte mit den Augen, als sei
er mit seiner Geduld bald am Ende.
»Was bedeutet die Abkürzung SHAEF?«
»Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force«, antwortete
Wilhelm.
Friedrich machte große Augen und pfiff durch die Zähne.
Inoffiziell klingt das ja nicht gerade, dachte Leo.
Sie durchquerten den Tiergarten auf der Ost-West-Achse.
Der Park war in einem schlimmen Zustand. Viele Bäume
waren durch das Artilleriefeuer regelrecht zerhäckselt worden.
Sperrgräben zogen sich durch das Gelände, und überall lagen
zerschossene Panzer und Lastwagen herum, die langsam zu
rosten begannen. Die riesigen Flaktürme ragten wie Denkmäler
des Größenwahns aus dem Blättermeer hervor. Auf der
schmaleren der beiden festungsartigen Kästen reckte sich das
Gerippe einer großen Antennenschüssel in den Himmel. Am
Straßenrand waren Arbeitskommandos damit beschäftigt, die
abgestorbenen Bäume zu Brennholz zu zersägen.
Der Kreisverkehr auf dem Großen Stern war kaum befahren.
Die Statue auf der Siegessäule bot einen tristen Anblick.
Leo erinnerte sich dunkel an den goldenen Glanz der Figur,
die schon von Weitem zu sehen gewesen war. Im Krieg war sie
dann schwarz angestrichen worden, um den Bomberpiloten
aus der Luft keine Orientierung zu bieten. Und so sah sie auch
jetzt noch aus: eine verkohlte Siegesgöttin, die nichts mehr zu
verkünden hatte.
Das Brandenburger Tor kam in Sicht. Auf dem Hindenburgplatz
stand eine Reihe von Panzern. Auch hier lag viel
Schrott herum. Unter der völlig zerschossenen Quadriga hing
eine rote Banderole ohne Aufschrift. Neben einem der Bögen
verkündete ein Schild: »You are leaving the British Sector.«
Die beiden Jeeps rollten im Schritttempo zwischen den von
Einschüssen übersäten Säulen hindurch auf den Pariser Platz.
Ein Posten der Roten Armee salutierte, ohne sie anzuhalten.
Unter den Linden war so gut wie kein Gebäude mehr bewohnt.
Vor den Ruinen schleppten sich Kolonnen von Flüchtlingen
mit ihrem Gepäck ab. Viele hatten Kinderwagen und
kleine Fuhrwerke über und über mit Koffern und Kartons beladen
und mit Stricken festgezurrt. Kaum jemand nahm Notiz
von ihnen. An einigen Ecken wurde gehandelt. Hier und da
waren zwischen deutschen Zivilisten und russischen Soldaten
die Uniformen von Briten und Amerikanern zu sehen.
Nach einer Viertelstunde hielten sie vor einer kleinen Grünanlage.
Beim Aussteigen sah Leo, dass vor ihnen ein weiterer
Jeep am Straßenrand parkte. Der Fahrer stand daneben, hatte
die Mütze in den Nacken geschoben und rauchte.
Sie stapften durch den Park, der wie der Tiergarten voller
Kampfspuren war. In der Mitte der Anlage thronte ein würfelförmiger
Betonklotz mit
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