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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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eingerissenen Wände
und die gepflasterte Straße.
    »Was ist?«, fragte Tarassow von der Seite.
    »Reine Vorsicht«, sagte Sirinow, öffnete die Tür des Fahrerhauses
und kletterte ins Freie.
    Er gab den anderen ein Zeichen, im Wagen zu bleiben,
und ging an der Mauer entlang zur Straßenecke. Kein Geräusch
war zu hören, nur in seinem Kopf vernahm er wieder
das Klirren der Münze, die durch den Gitterrost gefallen war.
Wenn Oberst Sirinow etwas nicht war, dann abergläubisch.
Und dennoch war ihm klar, dass er ohne diese Münze einfach
bis vor das Fabriktor gefahren wäre. Er wusste eigentlich
nicht, warum er stattdessen im letzten Moment den Wagen
angehalten hatte, um einen Blick auf die Straße vor dem Tor
der Möbelfabrik Best zu werfen. Es war einfach eine innere
Stimme gewesen.
    Er lugte um die Ecke.
    Verdammt.
    Vor dem Tor stand ein britischer Militärjeep.
    Sirinows Gedanken überschlugen sich. Wir müssen die
ganze Aktion sofort abblasen, sagte eine Stimme in ihm. Aufsitzen
und Abmarsch. Wenn die Briten uns hier erwischen,
dann rollen Köpfe.
    Doch er konnte nicht so einfach aufgeben. Er wandte sich
zu Tarassow um, der als Schemen hinter der Scheibe in der
Fahrerkabine zu erkennen war und ihn wahrscheinlich fragend
anblickte.
    Dann legte er den Finger an die Lippen und gab ihm einen
Wink auszusteigen.

»Ich fasse es nicht«, murmelte Friedrich.
    Unter der Decke kam eine lang gestreckte Tafel zum Vorschein,
die zwischen Hellgelb und Dunkelorange in allen Farben
schimmerte, die man sich nur vorstellen konnte. Intarsien
aus verschieden großen, flach geschliffenen und polierten Segmenten
aus reinem Bernstein, einige mit unregelmäßigen Maserungen
und Einschlüssen, andere einfarbig oder in sanften
Übergängen verschiedener Farbtöne. Auf diese Fläche war ein
verschnörkeltes Rahmenwerk gesetzt, ebenfalls aus geschliffenem
Bernstein: geschwungene Stege, Girlanden, Blüten,
Trauben, kleine Gesichter und federbuschartige Gebilde, alles
vor über zweihundert Jahren nahtlos ineinandergepasst und
zusammengefügt in einer Kleinarbeit, die Leo fast schwindeln
ließ. Das Bernsteinzimmer.
    Leo streichelte mit der Hand über die Fläche. Sie war glatt
und kühl, aber nicht kalt wie Glas, vielleicht eher so, wie man
sich Elfenbein vorstellte. Leo spürte die winzigen Fugen unter
seinen Fingern, die Wölbungen der aufgesetzten Girlanden. Er
fuhr über ein Gesicht, das, in einen verschnörkelten Rahmen
eingebettet, aus dem Untergrund herauszuwachsen schien.
Es war überwältigend. Und das hier war nur eine Platte von
Dutzenden, abgepolstert durch banale Federbetten, die irgendjemand
offenbar in aller Eile zusammengetragen hatte.
Leo versuchte, sich die Pracht vorzustellen, die in all diesen
Kisten lagerte, aber es gelang ihm kaum. Wie musste das erst
gewirkt haben, als es aufgebaut gewesen war: ein von oben
bis unten mit dieser Herrlichkeit vertäfelter Raum, über und
über besetzt mit Kerzenleuchtern und vergoldeten Holzfiguren.
So hatte er es jedenfalls einmal auf einem Bild in einem
von Wilhelms Kunstbüchern gesehen. Aber kein Foto dieses
prunkvollen Raumes konnte auch nur ansatzweise die Pracht
wiedergeben, die sich nur in dieser einzigen Platte im schummerigen
Licht der Glühbirnen entfaltete.
    »Wir haben das Bernsteinzimmer gefunden«, sagte Friedrich.
»Verdammt, Leo – das hier ist das berühmte Bernsteinzimmer!«
    Leo nickte langsam. »Und wir hätten es wissen können.«
    Friedrich sah ihn verständnislos an.
    »Die Liste«, sagte Leo. »Die Liste in dieser Akte in Münster.
Weißt du noch? Diese eine Abkürzung. Wir waren gerade
dabei zu rätseln, was BZ bedeutet, und dann hat Wilhelm uns
unterbrochen.«
    Friedrich schlug sich mit der Hand gegen die Stirn, dann
lachte er leise und schüttelte den Kopf. »Klar!«, rief er. » Aber
wir waren so fixiert auf die Wolowski-Sammlung, dass wir
hinterher gar nicht mehr daran gedacht haben. Wir Idioten!«
    Beide betrachteten wieder die Platte mit dem Bernsteinbelag.
    »Und jetzt?«, fragte Friedrich.
    »Na, was wohl?«, erwiderte Leo. »Jetzt holen wir Wilhelm
aus dem Bett.«
    Friedrich grinste. »Na, das gibt eine schöne Predigt. Schon
wieder so ein Alleingang! Diesmal reißt er uns die Köpfe ab!«
    »Und dann holt er Major Parks aus dem Bett.«
    »Nicht mehr nötig«, sagte eine Stimmer hinter ihnen.
    Leo bekam fast einen Herzschlag. Sie fuhren herum und
blickten in die Mündung einer Pistole.
    An der Biegung des Ganges stand tatsächlich Parks, aber
nicht in

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