Schattenspur
Wayne beeinflusst hatte. Denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer sonst in Savannah ein Telepath sein und mit diesen Fällen zu tun haben könnte. Er stand auf. „Informieren wir O’Hara.“
4.
K
ia klappte das Buch zu und steckte es in ihre Reisetasche. Charlie musste es nicht unbedingt sehen. Wahrscheinlich würde er sich nichts dabei denken, aber falls doch, mochte er in einer Weise reagieren, die ihr noch größere Probleme ve r schaffte, als sie schon hatte. Er saß im Wohnzimmer, sah fern und trank Bier. Nach dem gemeinsamen Abendessen, das sie notgedrungen mit ihm hatte einnehmen müssen als Dank für seine Gastfreundschaft, hatte sie sich zurückgezogen unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben. In Wahrheit wollte sie in aller Ruhe das Buch studieren. Das Buch war der kos t barste Schatz ihrer Familie. Urgroßmutter hatte es zu schre i ben begonnen und darin sämtliche Rituale ihres Kultes, alles Heilwissen und alle okkulten Kenntnisse aufg e schrieben, über die sie verfügt hatte. Großmutter hatte es ergänzt, ebenso Maman. Und Kia würde eines Tages ihr eigenes Wissen hinzuf ü gen.
Sie war froh, dass Louis nichts von der Existenz dieses Buches wusste. A n dernfalls hätte er alles darangesetzt, sich seiner zu bemächtigen. Mit den G e heimnissen, die darin standen, hätte er sie nicht mehr gebraucht, um seine Herrschaft über den gesamten Bizango von Haiti zu etablieren. Sie wagte nicht, sich auszumalen, zu was er die missbrauchen würde.
Seine Drohung ging ihr nicht aus dem Kopf, dass er sich jeden Tag eine Seele holen würde, an dem Kia nicht zu ihm kam. Und dass er sie alle zu Neumond vernichten würde. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er beide Drohungen wahrmachen würde. Dass er die Seele ihrer Großmutter als Erste vernichten würde, war gewiss. Aber das Buch enthielt eine detaillierte B e schreibung, wie jemand mit den Fähigkeiten der alten Priesterinnen ihm das Handwerk legen konnte. Und zwar für immer. Das Problem war nur, dass die Sache gefährlich war, denn zu dem Zweck musste sie Louis direkt konfronti e ren. Außerdem brauchte sie ein paar Dinge, die ihre Großmutter im Haus hatte, Kia aber nicht selbst besaß. Und im Haus ihrer Großmutter würde die Polizei und vor allem das FBI zuerst nach ihr suchen, sobald die Agents mo r gen feststellten, dass sie geflohen war.
Unerklärlicherweise bedauerte sie, dass Agent Scott enttäuscht sein würde, wenn er morgen mit seinem Partner zu ihrer Wohnung kam und feststellte, dass sie weg war. Er würde das als Beweis für seinen Verdacht werten, dass sie mit Louis unter einer Decke steckte. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Vor allem aber wollte sie, dass er gut von ihr dachte und sie nicht für eine Verbr e cherin hielt. Doch das tat er wohl sowieso schon, da er wusste, dass sie Louis kannte und ahnte, dass sie genau wusste, warum er sein ruchloses Spiel trieb.
Aber er konnte ihr nicht helfen, Louis zur Strecke zu bringen. Er war nur ein einfacher FBI-Agent. Und auch wenn er und sein Partner, wie er gesagt hatte, normalerweise mit Leuten zu tun hatten, die sogar Marines einschüc h tern konnten, mit jemandem, der so gefährlich war wie Louis hatten sie es noch nie zu tun gehabt. Sie hatte Scott die Wahrheit gesagt: Sie war die einz i ge Person, die sich vor Louis schützen und ihm das Handwerk legen konnte. Aber der Gedanke, sich Scott anzuvertrauen und sich auch seinem Schutz anzuvertrauen – auch wenn das eine Illusion wäre – war verlockend.
Sie seufzte. Was hatte der Mann nur an sich, dass sie so empfand? Es lag ganz bestimmt nicht an seinem guten Aussehen; von Äußerlichkeiten hatte sie sich noch nie beeindrucken lassen. Es war etwas anderes. Sie hatte das Gefühl, als würde sie ihn bis in sein tiefstes Inneres kennen. Dabei wusste sie nicht mehr von ihm als seinen Namen und seinen Beruf. Wayne …
Egal. Das war völlig unerheblich. Sie hatte das Problem Louis zu lösen. Auch wenn ihr das gelang, würde das FBI sie in die Mangel nehmen und alles wissen wollen, was sie wusste. Erst recht, wenn sie es schaffte, Louis das Handwerk zu legen. Und sie hatte keine Möglichkeit, die Agents davon zu überzeugen, dass sie nicht von Anfang an mit ihm unter einer D e cke gesteckt hatte und seine Schandtaten hätte verhindern können. In dem Punkt hätten die sogar recht. Sie konnte seinem Treiben auf der Stelle ein Ende setzen, indem sie seine Forderung erfüllte und sich ihm ergab. Doch das würde
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