Schattenspur
Konkretes zu extrahieren. Es gelang ihm nicht. Im Gegensatz zu dem, was in einschlägigen Science-Fiction-Filmen und Romanen über Telepathie propagiert wurde, konnte er nur die Dinge erfassen, an die Kia konkret gedacht und die sie intensiv empfunden hatte, nicht aber ihre gesamten Erinnerungen, all ihr Wissen oder ihre Pläne. Vie l leicht wäre es möglich, tiefer in ihre auf ihn übertragenen Eindrücke einz u tauchen, wenn er sich eine Weile ausschließlich darauf konzentrierte. Aber er war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre. Mangels Erfahrung mit einem Seelenbund konnte er nicht sagen, ob er dadurch nicht ein Stück se i ner eigenen Identität verlor.
Doch darüber konnte er sich später noch Gedanken machen. Dass Kia sich davongestohlen hatte, tat ihm unglaublich weh. Sehr viel mehr, als jemals eine Zurückweisung durch irgendeinen Menschen ihn geschmerzt hatte. Es half auch nichts, dass er sich einzureden versuchte, dass sie nur getan hatte, was sie geglaubt hatte, tun zu müssen, und dass sie dabei sein Wohl im Sinn g e habt hatte. Er empfand es als Verrat. Sie wusste doch – musste doch wi s sen, dass sie nur gemeinsam eine Chance gegen ihren Vater hatten.
Oder wollte sie sich Durant tatsächlich ergeben und mit ihm gemeinsame Sache machen? Er wollte es nicht glauben, konnte diese Möglichkeit aber auf dem Hintergrund dessen, was er aus ihrem Bewusstsein erfahren hatte, nicht vollständig ausschließen. Sie war seine Tochter, mit ihm durch das Blut ve r bunden. Durant war ein Medium, das sich auf eine Weise der Macht von Geistern oder, wie Kia sie nannte, dunklen Göttern bediente, die er nicht ermessen konnte. Vielleicht war es umgekehrt und die benutzten ihn oder Durant war einfach nur verrückt. In jedem Fall war er gefährlich. Und Kia trug einen Teil derselben Dunkelheit in sich wie er. Das hatte Wayne deutlich gespürt. Es machte sie anfällig. Vielleicht – nein, bestimmt sogar würde sie aus hehren Motiven handeln, aber das Ergebnis konnte durchaus sein, dass sie am Ende freiwillig mit ihrem Vater gemeinsame Sache machte.
Oh Gott, nur das nicht!
Wayne schob seine Verzweiflung und seine Verletztheit beiseite, stand auf und zog sich an. Anschließend rief er im Krankenhaus an, ob eine Veränd e rung in Travis’ Zustand oder dem der anderen Opfer eingetreten war. Die Verneinung seiner Frage überraschte ihn nicht.
Er genehmigte sich ein kurzes Frühstück mit viel Kaffee und stellte sich dann dem unangenehmsten Teil des Tages: SAC O’Hara zu berichten, was sich gestern ereignet hatte.
O’Hara meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen, woraus er schloss, dass sie schon längere Zeit auf seinen Anruf wartete.
„Agent Scott zum Rapport, Ma’am.“
„Ihrem Tonfall entnehme ich, dass Sie keine guten Nachrichten haben. Spucken Sie es aus. Ist Agent Halifax anwesend?“
„Nein, Ma’am. Durant hat ihn überwältigt. Travis befindet sich im selben Zustand wie die übrigen Opfer. Er ist in der Klinik.“
O’Hara besaß zu viel Selbstbeherrschung, um lauthals zu fluchen. Doch Wayne hörte an der Art, wie sie den Atem ausstieß, dass sie das am liebsten getan hätte. „Berichten Sie.“
Er lieferte einen wahrheitsgetreuen Bericht und verschwieg auch nicht, dass Kia vor Ort gewesen war. „Es ist meine Schuld, Ma’am. Ich war zu sehr von ihrer Anwesenheit überrascht und deshalb abgelenkt. Mein Versuch, sie fes t zunehmen, gab Durant die Möglichkeit, Travis in diesen Zustand zu verse t zen. Was immer der ist.“
„Haben Sie wenigstens Ms. Renard in Gewahrsam nehmen können?“
„Sie ist mir bedauerlicherweise entkommen, Ma’am. Aber durch die überr a schende Begegnung oder vielleicht auch etwas anderes ausgelöst“ – einen Kuss, dem etliche andere und der schönste Sex seines Lebens gefolgt war – „ist es mir gelungen, einen Teil ihrer Gedanken zu lesen.“
„Ist sie Durants Komplizin?“
„Sie ist seine Tochter. Allerdings ist sie, wie ich mitbekommen habe, schon vor zehn Jahren vor ihm geflohen und hat sich bei ihrer Großmutter Alma Renard versteckt und deren Nachnamen angenommen. Jetzt hat er sie mithi l fe des Detektivs aus Miami aufgespürt und inszeniert diese Überfälle, um sie dadurch zu zwingen, zu ihm zurückzukommen. Das war der Inhalt der Nac h richt, die er bei ihrer Großmutter zurückgelassen hat.“
Wieder stieß O’Hara die Luft aus. „Konnten Sie eruieren, wie Ms. Renards Einstellung zu dieser Sache ist? Ob sie sich ihrem Vater
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