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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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riss den Blick los, bevor ich erkannte, was es war, und torkelte nach hinten, gerade als rennende Schritte hinter meinem Rücken näher kamen.
    Arme packten mich. Ich hörte Simons Stimme dicht am Ohr. »Chloe?«
    »D-da war ein Mann. Er …« Ich ballte die Hände zu Fäusten und versuchte das Bild aus meinem Hirn zu zwingen. »Ein Geist. Ein Mann. Er, er ist in eine Säge gesprungen.«
    Simon zog mich an sich, legte mir eine Hand auf den Hinterkopf und zog mein Gesicht an seine Brust. Er roch nach dem Vanilleduft des Weichspülmittels und ein bisschen nach Schweiß, ein seltsam tröstlicher Geruch. Ich ließ mir einen Moment Zeit, um zu Atem zu kommen.
    Derek kam um die Ecke geschossen. »Was ist los?«
    »Ein Geist«, sagte ich, während ich mich von Simon losmachte. »Tut mir leid.«
    »Die haben was gehört. Wir müssen weg hier.«
    Als ich mich umdrehte, sah ich den Geist wieder auf der Plattform stehen. Derek folgte meiner Blickrichtung. Der Mann stand an genau derselben Stelle, die Hände am Geländer. Dann begann er hinaufzuklettern.
    »E-es wiederholt sich. Wie in Endlosschleife.« Ich schüttelte es ab. »Egal. Wir …«
    »Müssen
los
«, sagte Derek, während er mir einen Stoß gab. »Lauf!«
    Wir hatten uns kaum in Bewegung gesetzt, als wir einen gellenden Pfiff von Rae hörten.
    »Hatte ich was von leise gesagt?«, zischte Derek vor sich hin.
    Als wir in Raes Gang einbogen, sahen wir sie bei einer Tür mit der Aufschrift AUSGANG stehen und nach der Klinke greifen.
    »Nicht!« Derek ging an ihr vorbei und öffnete sie einen Spalt weit, um zu lauschen und zu wittern, bevor er sie ganz aufstieß. »Seht ihr das Lagerhaus?«
    »Das da, in einer Meile Entfernung oder so?«, fragte Rae zurück.
    »Dreihundert Meter höchstens. Los, geht. Wir sind direkt hinter euch.« Sein Kopf fuhr herum, als er ein Geräusch auffing. »Sie kommen, sie haben den Pfiff gehört. Ihr geht. Ich lenke sie ab und komme dann nach.«
    »Okay«, sagte Simon. »Ich decke dir aber den Rücken. Chloe, nimm Rae mit. Und rennt.«
    Derek öffnete den Mund, um zu widersprechen.
    Simon schnitt ihm das Wort ab. »Du brauchst irgendwas, das sie ablenkt?« Er flüsterte etwas und schwenkte die Hand. Nebel begann aufzusteigen. »Ich bin dein Mann.« Er drehte sich zu mir um. »Geht. Wir kommen nach.«
    Ich hätte gern widersprochen, aber ich hatte nichts Hilfreiches anzubieten. Meine Kräfte hatten sich bereits als eher hinderlich erwiesen.
    Rae war bereits sechs Meter weiter und tänzelte vor Ungeduld auf der Stelle, während sie mir zuwinkte, ich sollte nachkommen.
    Als ich Anstalten machte zu gehen, schob Derek sich an Simon vorbei. »Geht in das Lagerhaus und bleibt da. Seht eine Stunde lang nicht mal ins Freie. Wenn wir nicht kommen, sucht euch ein Versteck dort. Wir melden uns.«
    Simon nickte. »Verlasst euch drauf.«
    »Bleibt nicht im Lagerhaus, wenn es dort gefährlich wird. Aber es bleibt unser Treffpunkt. Seht immer wieder nach. Wenn ihr nicht bleiben könnt, überlegt euch, wie ihr uns eine Nachricht hinterlassen könnt. Wir
werden
da hinkommen. Verstanden?«
    Ich nickte.
    »Die müssen hier hinten irgendwo sein«, rief eine Stimme. »Seht in allen Räumen nach.«
    Derek schob mich zur Tür hinaus.
    Simon lehnte sich hinaus, formte mit den Lippen ein »Bis bald« und hob den Daumen. Dann wandte er sich Derek zu. »Showtime.«
    Ich begann zu rennen.

45
    W ir saßen eine Stunde und vierzig Minuten lang in dem Lagerhaus.
    »Die haben sie erwischt«, flüsterte ich.
    Rae zuckte die Achseln. »Vielleicht auch nicht. Vielleicht haben sie einfach eine Gelegenheit gefunden, abzuhauen, und sie genutzt.«
    Der Widerspruch lag mir schon auf den Lippen, aber ich schluckte ihn hinunter. Sie hatte recht. Wenn die beiden eine Fluchtmöglichkeit gefunden hatten und uns einfach nicht gefahrlos hatten benachrichtigen können, dann wünschte ich mir, dass sie sie genutzt hatten.
    Ich stemmte meinen taub gewordenen Hintern von dem eiskalten Zementboden hoch. »Wir warten hier noch eine Weile und gehen dann. Wenn sie weg sind, werden sie sich später melden.«
    Rae schüttelte den Kopf. »Darauf würde ich mich nicht verlassen, Chloe. Es ist so, wie ich gesagt habe. Wie sie sich benehmen, was sie tun, ist es immer
wir gegen die anderen
, und ›wir‹, das sind immer sie. Niemand sonst, außer vielleicht noch ihr verschollener Vater.« Sie richtete sich in die Hocke auf. »Haben sie dir gegenüber auch nur einmal angedeutet, was sie glauben, wo er

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