Schattenstunde
bekommen? Irgendwann?«
»Nicht notwendigerweise. Wir werden natürlich wachsam bleiben müssen, aber wir haben dies früh festgestellt. In der Regel wird eine Diagnose erst gestellt, wenn der Patient an die zwanzig oder darüber ist. Es ist, wie wenn man eine Krankheit im Frühstadium erkennt und die Chancen dann noch gut stehen, dass man die Ausprägung minimieren kann.«
»Und sie loswerden.«
Ein Augenblick des Schweigens, als sie ihre lange gedrehte Halskette befingerte. »Schizophrenie ist keine Grippe, Chloe. Das ist bleibend.«
Das Blut donnerte mir in den Ohren und übertönte ihre nächsten Worte. Sie beugte sich vor und berührte mein Knie.
»Chloe, hörst du mir zu?«
Ich nickte.
Sie setzte sich wieder auf. »Schizophrenie ist keine lebenslange Strafe. Aber sie ist ein lebenslanger Faktor. Wie wenn man Asthma hat. Mit Medikamenten und gewissen Veränderungen im Lebensstil ist sie kontrollierbar, und du kannst ansonsten ein normales Leben führen. So normal, dass niemand merken wird, dass du sie hast, wenn du es nicht aus freien Stücken erzählst.« Sie lehnte sich zurück und hielt meinen Blick fest. »Du hast vorhin gesagt, du wärst entschlossen, alles Nötige zu tun, um dies hier hinter dich zu bringen. Ich weiß, du hast dabei auf eine schnelle Lösung gehofft, aber es wird genau diesen Grad von Reife und Entschlossenheit verlangen. Bist du immer noch bereit, sie aufzubringen, Chloe?«
Ich hatte noch mehr Fragen. Passierte es immer so schnell, ohne jede Vorwarnung? An einem Tag läuft man herum und ist vollkommen normal, am nächsten halluziniert man und rennt schreiend den Gang entlang? Und dann, bums, erklären sie einem, dass man schizophren ist, und der Fall ist abgeschlossen?
Es kam mir alles so plötzlich vor. Aber als ich Dr. Gill und ihren erwartungsvollen Blick sah, mit dem sie darauf wartete, zur nächsten Phase übergehen zu können, hatte ich Angst, dass es nach Verweigerung klingen würde, wenn ich jetzt noch etwas sagte. Und dann würde ich nie aus Lyle House herauskommen.
Also nickte ich. »Ich will einfach erreichen, dass es mir bessergeht.«
»Gut. Dann fangen wir doch an.«
Dr. Gill erklärte mir die Medikamente. Sie waren dazu bestimmt, die Halluzinationen zu unterbinden. Wenn die Dosis einmal eingestellt war, würde es keine erwähnenswerten Nebenwirkungen mehr geben, aber zunächst durfte ich mit Teilhalluzinationen, Depressionen und Paranoia rechnen. Na super, das hörte sich so an, als sei die Medizin genauso übel wie die Krankheit.
Dr. Gill versicherte mir, wenn ich Lyle House verließ, würde mir das tägliche Einnehmen der Pillen nicht anders vorkommen, als wenn ich ein Asthmamedikament einnähme. »Und genau so solltest du die Schizophrenie auch betrachten, Chloe. Als eine gewöhnliche Krankheit. Du bist nicht daran Schuld, dass du erkrankt bist.«
Und kann nichts tun, um sie zu heilen.
»Du wirst eine Phase der Depression, der Wut und der Verweigerung durchmachen. Das ist vollkommen normal, und wir werden uns bei unseren Treffen damit befassen. Wir setzen uns eine Stunde pro Tag zusammen.«
»Gibt es auch Gruppensitzungen?«, fragte ich.
»Nein. Irgendwann wirst du vielleicht zu dem Schluss kommen, dass du dir von der Dynamik einer Gruppentherapie etwas versprichst, und dann können wir uns darüber unterhalten, aber hier in Lyle House sind wir der Ansicht, dass die Privatsphäre sehr wichtig ist. Du musst deine Verfassung akzeptiert haben, bevor du dich mit dem Gedanken wohl fühlst, andere davon wissen zu lassen.«
Sie legte ihr Notizbuch auf den Schreibtisch und kreuzte die Handgelenke über dem Knie. »Und damit wären wir bei unserem letzten Thema für heute. Der Privatsphäre. Du bist mit Sicherheit schon von selbst darauf gekommen, dass alle Bewohner hier mit psychischen Problemen zu tun haben. Aber mehr als das braucht niemand zu wissen. Wir werden die Einzelheiten deiner Krankheit, deiner Symptome oder deiner Behandlung mit niemandem hier teilen. Wenn jemand dich deswegen unter Druck setzt, kommst du augenblicklich zu uns.«
»Sie wissen es schon«, murmelte ich.
»Was?«
Die Empörung, die ich in ihren Augen flammen sah, teilte mir mit, dass ich den Mund hätte halten sollen. Ich wusste von meinen früheren Therapien, dass es wichtig war, alles auszusprechen, was mir zu schaffen machte, aber ich brauchte meinen Aufenthalt in Lyle House nicht damit einzuleiten, dass ich petzte.
»N-nicht das mit der Schizophrenie. Bloß … jemand hat
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