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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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vorbei zur Treppe.
     
    Dr. Gill war eine kleine Frau mit einer langen Nagetiernase und hervortretenden, rattenhaften Augen, die mich studierten, als wäre
ich
die Ratte und als müsse jedes Zucken von mir in ein Notizbuch gekritzelt werden. Ich hatte schon mit Therapeuten zu tun gehabt. Zweien, und zu beiden war ich gegangen, nachdem meine Mom umgekommen war. Den ersten davon hatte ich gehasst. Einen alten Mann mit Mundgeruch, der die Augen geschlossen hatte, wenn ich redete, als hielte er währenddessen ein Mittagsschläfchen. Als ich mich beschwert hatte, hatte ich die zweite Therapeutin bekommen, Dr. Anna, eine Frau mit leuchtend rotem Haar, die mit mir herumgealbert und mich an meine Mom erinnert und mir geholfen hatte, wieder mit dem Leben klarzukommen. Nach zehn Minuten mit Dr. Gill war mir klar, dass sie irgendwo in die Mitte gehörte. Sie wirkte soweit ganz nett, und sie hörte mir aufmerksam zu, aber sie würde in nächster Zukunft mit Sicherheit nicht anfangen, Scherze zu machen.
    Wir redeten darüber, wie ich geschlafen hatte, wie ich aß, was ich von den anderen hielt und vor allem darüber, wie ich zu der Tatsache stand, dass ich hier war. Bei dieser letzten Frage log ich. Ich war schließlich nicht dumm. Wenn ich hier raus wollte, durfte ich nicht jammern, dass ich nicht dazugehörte, oder mich beschweren, dass irgendjemand einen fürchterlichen Fehler gemacht hatte.
    Also sagte ich, ich wüsste ja, dass mein Dad und meine Tante nur das Richtige getan hatten, als sie mich in Lyle House unterbrachten, und dass ich entschlossen war, meine Probleme in den Griff zu bekommen, ganz gleich, was zu diesem Zweck nötig war.
    Dr. Gills Rattengesicht entspannte sich etwas. »Das ist eine ausgesprochen reife Einstellung. Ich bin froh, das zu hören.«
    Ich nickte und versuchte, aufrichtig auszusehen.
    »Also, Chloe, hast du jemals von Schizophrenie gehört?«
    Mir blieb das Herz stehen. »Sch-schizophrenie?«
    »Ja. Weißt du irgendetwas darüber?«
    Mein Mund öffnete und schloss sich. Mein Hirn weigerte sich, die Worte zu liefern.
    »Chloe?«
    »S-sie glauben, ich bin schizo?«
    Ihre Lippen wurden schmal. »Das ist ein Wort, das wir nicht verwenden, Chloe. Tatsächlich würden wir es vorziehen, ganz auf Etikettierungen zu verzichten. Aber eine Diagnose ist ein notwendiger Teil des Prozesses. Die Patientin muss ihre Diagnose kennen, sie verstehen und akzeptieren, bevor wir mit der Behandlung beginnen können.«
    »A-aber ich bin doch gerade erst hergekommen. Wie k-können Sie jetzt schon wissen …«
    »Erinnerst du dich an deinen Krankenhausaufenthalt? Die Ärzte, mit denen du dort gesprochen hast? Die Tests, die sie durchgeführt haben?«
    »Dabei haben sie Schizophrenie festgestellt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Wissenschaft arbeitet an einer Methode, Schizophrenie zweifelsfrei zu definieren, aber wir haben bisher noch nichts Endgültiges. Die Tests haben allerdings andere Möglichkeiten ausgeschlossen, etwa einen Tumor oder Drogenmissbrauch. Wenn man diese Ergebnisse nimmt und sie mit deinen Symptomen abgleicht, ist Schizophrenie die wahrscheinlichste Diagnose.«
    Ich starrte auf den Fußboden hinunter. »Sie glauben, ich habe Schizophrenie.«
    »Weißt du, was das ist?« Sie sprach langsam, als kämen ihr allmählich Zweifel an meiner Intelligenz.
    »Ich habe
A Beautiful Mind
gesehen.«
    Wieder ein Vorschieben der Lippen. »Das ist die Hollywood-Version, Chloe.«
    »Aber es basiert auf einer wahren Geschichte, oder?«
    »Basiert.«
Ihre Stimme wurde sanfter. »Ich weiß aus deiner Akte, dass du Filme liebst, und das ist wunderbar. Aber um etwas über Geisteskrankheiten zu lernen, sind sie kein geeignetes Material. Es gibt viele verschiedene Formen und Grade der Schizophrenie, und deine ist nicht die Gleiche wie in dem Film.«
    Nein? Ich sah Leute, die nicht da waren, genau wie der Typ aus dem Film.
    Dr. Gill sprach weiter. »Was du gerade mitmachst, ist etwas, das wir als undifferenzierte Schizophrenie bezeichnen würden. Das bedeutet, dass du eine begrenzte Anzahl der primären Symptome aufweist, also dass du Visionen hast und Stimmen hörst. Optische und akustische Halluzinationen.«
    »Und was ist mit Paranoia?«
    »Dafür haben wir keine Hinweise gefunden. Du lässt keine Anzeichen für desorganisiertes Verhalten oder gestörte Sprachmuster erkennen.«
    »Was ist mit dem Stottern?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Keinerlei Zusammenhang. Du hast keine der anderen Symptome, Chloe.«
    »Werde ich sie

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