Schattenstunde
von ihm und in Richtung Treppe.
Er griff nach mir, seine Finger schlossen sich um meinen Unterarm und er riss mich so hart von der Treppe zurück, dass ich unwillkürlich aufschrie. Als sich meine Füße vom Boden lösten, knackte meine Schulter. Dann ließ er los, und ich knallte auf den Fußboden.
Einen Moment lang lag ich einfach nur da, so wie ich aufgekommen war, drückte meinen Arm an mich und blinzelte verblüfft, ohne glauben zu können, was gerade passiert war. Dann fiel sein Schatten über mich, und ich rappelte mich auf.
Er griff wieder nach mir. »Chloe, ich …«
Ich torkelte nach hinten, bevor er mich berühren konnte. Er sagte noch etwas. Ich verstand es nicht. Sah ihn nicht an. Stürzte einfach nur zur Treppe.
Ich blieb erst stehen, als ich mein Zimmer erreichte. Dann setzte ich mich im Schneidersitz aufs Bett und rang nach Luft. Meine Schulter brannte. Als ich den Ärmel hochkrempelte, sah ich einen roten Abdruck von jedem einzelnen seiner Finger.
Ich starrte auf sie hinunter. Niemand hatte mir jemals weh getan. Meine Eltern hatten nie zugeschlagen, mir nie den Hintern versohlt oder es auch nur angedroht. Ich war nicht der Typ Mädchen, der sich prügelte oder andere kratzte und an den Haaren riss. Ja sicher, ich war schon gestoßen und angerempelt worden … aber gepackt und quer durchs Zimmer geschleudert?
Ich zerrte den Ärmel wieder nach unten. War ich überrascht? Derek hatte mich gleich bei unserer ersten Begegnung in der Speisekammer nervös gemacht. Als mir klargeworden war, dass er es war, der mir die Nachricht geschickt hatte, hätte ich sofort wieder nach oben gehen sollen. Wenn er versucht hätte, mich aufzuhalten, hätte ich schreien können. Aber nein, ich hatte ja cool sein müssen. Schlagfertig sein müssen. Ihn provozieren müssen.
Allerdings hatte ich keinen Beweis außer den Abdrücken auf meinem Arm, die bereits zu verblassen begannen. Selbst wenn sie noch so lange da sein sollten, dass ich den Schwestern Bescheid sagen konnte, konnte Derek immer noch behaupten, dass ich ihn in den Keller gelockt hätte und dort so ausgerastet wäre, dass er mich am Arm hätte packen und zurückhalten müssen. Schließlich hatte man bei mir Schizophrenie diagnostiziert. Halluzinationen und Paranoia gehörten da dazu.
Ich musste damit selbst klarkommen.
Ich
sollte
damit selbst klarkommen.
Ich hatte eine behütete Kindheit verbracht, wie es so schön heißt. Ich hatte immer gewusst, was das bedeutete – dass mir die Lebenserfahrung fehlte, die ich brauchen würde, wenn ich Drehbuchautorin werden wollte. Hier nun hatte ich eine erste Gelegenheit, sie zu erwerben.
Ich würde damit klarkommen. Aber um das zu tun, musste ich zunächst wissen, mit was ich es eigentlich zu tun hatte.
Ich nahm Rae zur Seite.
»Willst du immer noch Simons und Dereks Akten sehen?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Dann helfe ich dir, an sie ranzukommen. Gleich heute Nacht.«
14
W ir trafen Mrs. Talbot dabei an, wie sie unseren abendlichen Imbiss herrichtete. Karottenstäbchen mit Dip. Wow. Was ich auch an Annette auszusetzen haben mochte, bei mir zu Hause konnte man sich wenigstens darauf verlassen, dass Brownies da waren.
»Hunger, Mädchen? Wundert mich nicht. Keine von euch hat beim Abendessen viel gegessen.«
Sie streckte uns den Teller hin. Wir nahmen jeweils ein Stäbchen und tauchten es ein.
»Chloe und ich haben nachgedacht, Mrs. T.«, sagte Rae. »Über Tori.«
Sie stellte den Teller auf dem Tisch ab, ihr Blick blieb gesenkt, als sie nickte. »Ich weiß, Liebes. Sie nimmt es furchtbar schwer, dass Liz fort ist. Sie haben sich sehr nahegestanden. Ich bin sicher, es wird ihr besser gehen, wenn sie erst wieder miteinander reden können. Aber bis dahin wird sie wahrscheinlich etwas bedrückt sein, bis wir ihre … Medikamente neu eingestellt haben. Wir verlassen uns drauf, dass ihr Mädchen jetzt besonders nett zu ihr seid.«
»Klar.« Rae leckte sich Dip von den Fingern. »Aber wir haben uns auch gefragt, ob es für sie vielleicht einfacher wäre, wenn sie das Zimmer für sich hätte. Ich könnte auch bei Chloe schlafen.«
Mrs. Talbot reichte Rae eine Serviette. »Ich möchte sie nicht zu sehr isolieren, aber ja, im Moment wäre sie allein vielleicht glücklicher.«
»Im Moment?«
Die Schwester lächelte. »Nein, du kannst auch ganz zu Chloe ziehen, wenn es euch beiden recht ist.«
Während Tori unten vor dem Fernseher saß, begann Rae mit ihrem Umzug, als fürchtete sie, Miss Van Dop
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