Schattentänzer
Sprüngen, ohne dass mich die Magie noch schützte. Gerade als sich die Stimmen triumphierend in mein Hirn schlängelten, bewältigte ich das letzte Stück, sodass sich mein Geist nicht mehr in den Netzen des Wahnsinns verfing.
Ich flog förmlich in den anschließenden Saal. Hier war alles ruhig. Ohne auch nur zu begreifen, wie mir geschah, rannte ich geradezu in den Grafen Balistan Pargaide hinein.
Auf dem Boden liegend rang ich nach Atem und wartete, bis die Funken vor meinen Augen verschwanden.
Seine Gnaden und einer seiner Soldaten hatten sich in Statuen verwandelt. Beide schienen aus trübem Eis gemeißelt und mit zartestem Reif überzogen zu sein.
Ich stand auf und trat an sie heran. Als ich die Hand ganz vorsichtig nach ihnen ausstreckte, verbrannte mir Kälte die Finger. Das war wirklich Eis. Jemand hatte sich einen Scherz erlaubt und die Diener des Herrn in Eisstatuen verwandelt. Ein dummes, wenn auch durch und durch verdientes Ende für den Grafen.
Da Balistan Pargaide vorübergehend meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt hatte, war mir die Wendeltreppe entgangen, die zur fünften Terrasse hinunterführte.
Ein weiteres Wegmal war erreicht.
Kapitel 6
Die Herren des Dunkels
Es war mir bereits zur Gewohnheit geworden, die Stufen in Hrad Spine zu zählen. Das lenkte mich von schwermütigen Grübeleien ab. Diesmal half das Zählen jedoch nicht. Bei der fünfhundertunddreiundsiebzigsten Stufe triumphierten die schwarzen Gedanken: Ich verzählte mich und verzichtete danach darauf, noch einmal bei null anzufangen.
Lathressa hatte bei der Jagd nach dem Horn die Nase vorn, obendrein war sie im Besitz des Schlüssels, ohne den ich nicht aus den unterirdischen Palästen herauskäme. Sie fand in diesem Friedhofslabyrinth mühelos ihren Weg und eilte vorwärts, ohne sich um etwaige Gefahren zu scheren, sondern erkaufte ihr ungehindertes Durchkommen mit dem Tod der Soldaten Balistan Pargaides.
Ihre Zahl dürfte mittlerweile auf zwölf Mann geschrumpft sein, womöglich sogar auf noch weniger. Wer weiß, vielleicht schlug sich die Dienerin des Herrn inzwischen auch schon ganz allein durch.
Die erste entscheidende Gefahr – des Schlummernden Raunens Ruhestatt – lag hinter mir. Aber diese Galerie bedeutete nur den Auftakt. Wie hieß es weiter in dem Gedicht?
Durch des Schlummernden Echos, des Dunkels Säle,
Vorbei an ihnen, den blinden Wächtern des Kaju,
Hinweg unter der Riesen Blick, der dich mit Feuer quäle,
Zu den Großen, die nach dem Kampf hier finden Ruh.
Wenn diese Zeilen nicht Mut machten!
Ein Albtraum schreckte mich aus dem Schlaf. An den Traum selbst erinnerte ich mich nicht. Aber er hatte mir einen stechenden Schmerz in der Brust und eine solch bleierne Müdigkeit beschert, als hätte ich überhaupt kein Auge zugetan.
Stöhnend erhob ich mich von der untersten Stufe der Steintreppe und rieb mir die steifen Arme und Beine. Hunderte von kleinen Nadeln bohrten sich mir in den Körper, glühten bald hier, bald da. Immerhin weckte dieser kribbelnde Schmerz meine Lebensgeister derart vorzüglich, dass ich die fünfte Terrasse hellwach erreichte.
Auch diesmal überraschte mich der erste Saal. Wo waren nur die Eleganz, die meisterlichen Statuen und die Schönheit der Wände, die das Auge so freute, geblieben? Stattdessen bot die fünfte Terrasse bloß eintönige Steinwände mit durch und durch schlichten Zeichnungen. Der Boden bestand lediglich aus bunten Platten, die achtlos aneinandergelegt waren und von denen jede zwei Quadratyard maß.
Ich vermutete, die Platten seien zu einem Mosaik gefügt, das ich aufgrund seiner ungeheuren Ausmaße jedoch nicht zu erkennen vermochte. Genauso erging es mir in den nächsten Sälen, deren Boden eine ähnlich wahllose Anordnung von Platten aufwies.
Mir war völlig schleierhaft, warum ausgerechnet diese Säle die ehrenvolle Bezeichnung Säle des Schlummernden Dunkels trugen, hätte die mangelnde Beleuchtung es doch erlaubt, diesen Titel noch auf weit mehr Räume anzuwenden.
Hier war es etwas kühler als in den oberen Schichten, schon fast so wie in einer natürlichen Höhle. Stalaktiten und Stalagmiten waren längst miteinander verwachsen und bildeten rätselhaft anmutende Säulen. Je weiter ich ging, desto größer war der Verfall der einstigen Majestät der Beinernen Paläste. Ein totes Spinnennetz der Zeit schien mich zu umfangen.
Zuweilen gabelte sich der mit roten Platten ausgelegte Weg, hatte zwei, drei oder vier, manchmal sogar acht Abzweigungen,
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