SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
hatte, schien sich nicht erfüllen zu wollen. Es war die Liebe, die sie sich wünschte. Die wahre Liebe, das so wichtige Miteinander, wo jeder für den anderen einstand, wo man sich ergänzte. Sie sehnte sich nach diesem einen unverbrüchlichen Zustand. Aber für sie trat er nicht ein. Das dachte sie wenigstens damals, bis sie Frank auf einer Veranstaltung der Musikschule kennenlernte. Er war hingerissen von ihrer Stimme. Lange habe er keinen so klaren Sopran mehr gehört, sagte er ihr in der Pause und verneigte sich vor ihr. Ob er sie denn einmal anrufen dürfe, er habe da eine Idee. Sie nickte ergriffen. Die Aufmerksamkeit tat ihr gut nach dem jahrelangen Entzug von Liebe und Zärtlichkeit. Sie war waidwund und blutete aus allen Poren. Später war sie davon überzeugt, dass sie diesen Tag verfluchen sollte.
Frank Habichthorst hatte sich als Klavierlehrer der Musikschule einen Namen gemacht. Sie erinnerte sich noch, dass sie damals ihre Tochter zum Unterricht anmelden wollte, aber Habichthorst hatte sich schon Jahre zuvor entschieden, nur noch Erwachsene im Klavierspiel auszubilden. Er sei zu alt, um sich mit grünschnäbeligen Heranwachsenden herumzuschlagen, die ohnehin nie wirklich üben würden, erklärte er ihr bei diesem Sommerfest der Musikschule. Sie lächelte bei seinen Worten und wusste ganz genau, was er meinte. Ihre Tochter war auch nicht eben strebsam in ihren Bemühungen, dem Klavier Töne abzutrotzen, die ein Lied ergeben würden. Wahrscheinlich musste sie sich sogar eingestehen, dass sie gänzlich unmusikalisch war, und das bei dieser Mutter. Unglaublich!
Aber an diesem Sommertag vor rund acht Jahren war ihr das alles egal gewesen. Da war ein Mann, der Interesse an ihr hatte. Jemand, dem die Musik ebenso wichtig war wie ihr selbst. Sie war selig.
Er
Als die Nacht hereingebrochen war, machte er sich auf, sein Werk zu vollenden. Es war ein bisschen heikel, was er sich vorgenommen hatte. Er wollte sie, die immer noch so wunderschön war, auf einem der großen Grabsteine des Jetenburger Friedhofes drapieren, ganz so, wie es ihrer würdig war.
Zwischen drei und vier Uhr nachts war eine gute Zeit, fand er. Die Nachtschwärmer waren meist schon zu Hause und die Frühaufsteher noch nicht aktiv.
Über die Schwenstraße fuhr er bis auf den Totenweg dicht an das Tor des alten, lange ungenutzten Friedhofes heran. Die Frau hatte er in eine Decke gewickelt. Nur ihre langen blonden Haare hingen heraus. Er roch noch einmal an ihnen und vergrub seinen Kopf darin. Sie hatten einen wunderbaren Duft.
Dann trug er sie zu der Grabplatte, die er für ihren letzten Akt vorgesehen hatte. Sie war groß und ließ ihm Gestaltungsspielraum.
Die Decke, die er extra für sie gekauft hatte, breitete er auf dem kalten Stein aus. Vorher hatte er sie auf dem Gras abgelegt. Er achtete sehr darauf, dass er der Unterlage eine schöne Wellenform gab. Hellblau hatte er als Farbe für die Decke gewählt, weil das so gut zu ihrem Haar passte. Sie würde darauf aussehen wie eine Meerjungfrau, dachte er und hob sie vom Boden auf. Wie Wasser hing sie in seinen Armen. Es war alles perfekt. Mit dem nackten Gesäß setzte er sie auf die Decke. Ganz langsam ließ er ihren Oberkörper und ihre Beine auf den verzierten Stein gleiten. Es war, als berühre sie die Wasseroberfläche und käme darauf zu liegen. Das Element verschluckte sie nicht. Er musste ihre Lage nur wenig korrigieren. Die Haare breitete er sorgsam um ihren Kopf, sodass sie aussahen wie ein Flammenmeer. Eine Strähne legte er um den Halsschnitt. Das war er ihr schuldig. Sie war perfekt gewesen für ihn, hatte ihn so sehr erregt. Etwas Mädchenhaftes war ihr selbst im Tod geblieben.
Er zuckte zusammen, als er von weitem Stimmen hörte. Aber die Stimmen kamen nicht näher. Sie entfernten sich immer mehr und verebbten schließlich ganz. Jetzt konnte er sein Werk vollenden.
Die Kreuze wollte er bei ihr nicht einritzen. Er legte sie auf ihre Wangen mit dornigen Blütenstängeln. Über die Bauchnarbe streute er Rosenblätter in zartem Lachston.
Als er fertig war, betrachtete er von Ferne sein Werk und war ergriffen. Er nahm sich vor, immer noch perfekter zu werden. Mit seiner Digitalkamera hielt er diesen Augenblick fest. Die Gebärmutter, die er ihr zu Füßen legte, war eine besondere. Sie war niemals in Berührung mit irgendeinem männlichen Samen gekommen außer dem seinen und war so unbefleckt, wie seine Meerjungfrau aussah. Das Mädchen, der sie gehört hatte, lag im
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