SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
liegend im Flur gefunden. Da war nichts mehr zu machen gewesen. Das Tischchen hatte ihren Sturz unsanft gebremst und ihr das Lebenslicht ausgeblasen. Aber hatte er nicht einen dumpfen Aufprall wahrgenommen? Hatte er sich nicht gewundert, dass sie nicht weiterzeterte, dass sie nichts mehr von sich hören ließ?
Vielleicht, aber es war ihm egal gewesen. Er hatte den Gedanken verdrängt, vielmehr hatte er überlegt, wie es denn wäre, wenn die alte Hexe vom Schlag getroffen worden wäre. Nun, im übertragenen Sinne war genau dies geschehen, und sein zögerliches Verhalten, was die Fürsorgepflicht betraf, machte jegliche Reanimationsversuche unnötig. Der Hausarzt Dr. Passmann, der seinerzeit in die Wohnung gekommen war, um den Tod der alten Dame festzustellen, kannte seine Mutter und ihn schon jahrelang.
Es fiel Wilfried nicht schwer, ein paar Tränen herauszudrücken (er dachte an seine Reise in den Süden, die nun wegen der Beerdigung flachfallen würde), und Passmann klopfte ihm auf die Schulter. Er sagte: „Sie hatte das Alter, und sie hat bestimmt nichts gemerkt. Ein schöner Tod für Ihre Mutter!“ Bei diesen Worten schrieb er den Totenschein aus, vermerkte „Unfall ohne Fremdverschulden“ und nickte Wilfried beim Abschied aufmunternd zu. „Sie war ja auch nicht ganz einfach im Umgang. Nun erholen Sie sich erst mal.“
Bei sich selbst dachte er, dass es gut sei, dass dieses böse Weib von der Erde genommen worden war. Parallel dazu überlegte Wilfried, ob es bei der mit dem Tod getan war oder ob nicht ein Holzpflock mitten durchs Herz auch noch verhindern konnte, dass sie ihn künftig in seinen Träumen heimsuchte.
Nach Mutters Ableben hatte Wilfried endlich mehr Zeit. Er konnte sein Hobby zum Zweitberuf machen und als Posaunist bei den Bückeburger Sinfonikern einsteigen.
Johann, die Klarinette
Johann war still. Niemand wusste viel über ihn. Er sprach fast nie über sich. Beinahe kam es einem so vor, als ob auch er wenig über sich selbst wusste, als ob er sich nahezu gänzlich unbekannt war.
Die Klarinette spielte er wie ein Meister. Man hatte den Eindruck, dass da plötzlich ein ganz anderer Mensch stand, der es verstand, aus sich herauszugehen, sich ganz zu öffnen und zu offenbaren. Aber nur, solange die Töne im Raum schwebten. Anschließend fiel er wie ein Kastenteufel in sich zusammen und verschwand in seiner inneren Schachtel.
Vielleicht wäre er ohne seine Cordhose und die Jacketts mit Lederellenbogen sogar ein ansehnlicher Mann gewesen, aber seine allzu wenig wichtig genommene Körperpflege und die speckig abgewetzten Stellen machten jeden zweiten Blick des weiblichen Geschlechts unmöglich, wenigstens den, ob es sich um ein begehrenswertes Männchen handelte.
Inzwischen war Johann ein wenig in die Jahre gekommen. Im Orchester genoss er eine gewisse Narrenfreiheit. Seine Klangfolgen beeindruckten jedermann. Man drängte sich gewiss nicht danach, in seiner Nähe zu spielen. Vor allem wegen des Geruchs, der besonders dann unerträglich wurde, wenn Johann auch noch Knoblauch gegessen hatte. Man bewunderte ihn von Ferne wie ein Insekt, das man faszinierend fand und dennoch nicht mit ihm in Berührung kommen wollte.
Rieke
Als Rieke abends nach Hause kam und den Briefkasten leerte, fand sie etwas Merkwürdiges darin.
Es war eine kleine Puppe mit wirrem Haar, die jemand versucht hatte zu schminken. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen.
Aber das brauchte sie auch nicht, denn als sie die Puppe genauer untersuchte, fand sie unter deren Pullover ein Foto und erbleichte. Das Bild fiel ihr aus der Hand, sie musste sich an der Wand abstützen und glitt an ihr entlang zum Boden. Sie atmete tief durch. Lichtblitze schossen an ihr vorbei, sie selbst fühlte sich wie gelähmt. Es dauerte einige Zeit, bis sie das Foto wieder in die Hand nehmen konnte. Was sie dort sah, war so unglaublich, dass es ihr erneut den Atem nahm. Gewiss, sie war durch so manche Hölle gegangen, aber dies hier hatte eine andere Qualität. Es war eine Drohung. Es war die Drohung von jemandem, der zu viel wusste.
Die Kommissare
Peter Kruse und Wolf Hetzer waren beide genervt, als sie Richtung Todenmann zurückfuhren. Nur Lady Gaga, die Schäferhündin, lag zufrieden im Heck.
Die Gespräche mit den Bückeburger Kommissaren hatten sie auch nicht weitergebracht. Gewiss, Hofmann und Dickmann hatten zugesagt, dass sie die Zeugen von damals erneut befragen wollten, aber so richtig versprach sich niemand etwas davon. Der ganze
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