Schattenturm
nicht jede Minute des Tages mit ihr, aber ich glaub’s nicht. Sie beschäftigt sich lieber mit ihren Hobbys oder hängt mit Freunden rum.« Sie zeigte auf sich. »Oh, jetzt verstehe ich. Sie glauben, sie wäre mit irgendeinem reichen Grufti abgehauen.« Ali lachte. »Nee, auf keinen Fall.«
»Hat Katie gern geflirtet?«
»Eh, haben Sie sich ihren Freund mal angesehen?«
»Du meinst, sie war ihm treu?«
»Mein Typ ist er nicht, aber die meisten Mädchen würden sich wahrscheinlich glücklich schätzen, wenn sie seine Freundin wären. Und sie würden kaum nach ’nem anderen Typen Ausschau halten.«
»Fühlte Katie sich schnell geschmeichelt?«
»Nein. Sie kann Komplimente nicht ausstehen.«
»War sie depressiv?«
»Nein. Was soll das alles?«
»Ich stelle dir nur ein paar Fragen.«
Er schaute in sein Notizbuch.
»Okay. Als Tochter eines Gastwirts hast du sicher Zugang zu …«
Ali hob den Blick. »Zu schmutzigen Gläsern?«
O’Connor starrte sie an. »Ich dachte eher an Alkohol.«
Ali verdrehte die Augen. »Puh!«
»Beantworte einfach meine Fragen, sonst sitzen wir morgen noch hier.«
»Ich spüle Gläser in der Kneipe. Ich nehm sie von den Tischen, gieße die Reste aus, atme den Gestank von schalem Bier ein und stell die Gläser in den Geschirrspüler. Ich schalte ihn ein, wisch die Theke ab, warte, bis die Gläser fertig sind, mach den Geschirrspüler auf, dünste meine Pickel im Dampf, räum die Gläser aus und stell sie ins Regal. Ja, ich verstehe den Zusammenhang zwischen meiner Arbeit in der Kneipe und Katies Verschwinden. Ich hab’s mit Biergläsern zu tun, also mit Glas. Sie denken sicher an Spiegelglas. Vielleicht ist Katie durch einen Spiegel gegangen.«
»Du bist nicht gerade hilfreich. Immerhin ist deine beste Freundin verschwunden.«
»Das bringt sie auch nicht zurück.«
»Warum bist du dir so sicher?«
»Es geht nicht darum, ob ich mir sicher bin. Aber ich kenne Katie. Sie ist nicht der Typ, der abhaut und nicht wiederkommt.«
»Hm. Du kiffst, nicht wahr?«
Ali riss die Augen auf. »Was?«
»Du hast mich schon richtig verstanden.«
»Ich nehme an, Sie wissen es bereits.«
»Ja. Hat Katie auch gekifft?«
»Nein.« Ali lachte. »Auf keinen Fall.«
»Bist du sicher?«
»Ja, ganz sicher. Sie ist meine beste Freundin. Ich würde es wissen.«
»Hat sie dich nie um Drogen gebeten?«
»Schon oft. Ich bin ’ne stadtbekannte Dealerin, verkauf aber nur Kopfschmerztabletten.«
»Es wäre nett, wenn du unser Gespräch ein bisschen ernster nehmen würdest.«
»Okay, okay. Katie würde niemals Drogen nehmen.«
»Fand sie es cool, dass du Drogen nimmst?«
»Was ist denn das für ’ne Frage? Wir sind sechzehn und befreundet. Es geht nicht darum, was wir beim anderen cool finden oder nicht.«
»Nein«, sagte O’Connor geduldig. »Ich wollte nur wissen, wie sie zu Drogen steht.«
»Hören Sie, ich hab das alles schon Frank Deegan erzählt. Die Sache hat nichts mit Drogen zu tun«, sagte Ali. »Absolut nichts. Katie hat nichts mit Drogen am Hut. Drogen spielen in ihrem Leben keine Rolle und haben nichts mit ihrem Verschwinden zu tun. Ich rauche ab und zu ’nen Joint. Ich bin aber keine Abhängige. Katie sowieso nicht. Und sie ist auch nicht mit den falschen Leuten zusammen. Wir sind bloß zwei Mädchen aus ’nem Kuhdorf, und eines der Mädchen raucht ab und zu ’nen Joint. Keine von uns beiden hatte es je mit einem Typen zu tun, der zwielichtiger gewesen wäre als … als … sehen Sie? Mit fällt nicht mal jemand ein, der zwielichtig ist und mit dem wir je etwas zu tun hatten. Mein Gott. Was sagt Ihnen das über unser behütetes Leben hier?«
»Ein schönes Leben.«
»Jetzt sagen Sie nicht, die Welt ist ein grausamer Ort und wir können uns glücklich schätzen …«
»Doch. Du kannst dich glücklich schätzen. In der großen weiten Welt kann es verdammt unangenehm zugehen.«
»Dafür ist es in diesem Kaff hier stinklangweilig. Wir sollten Katie dankbar sein, dass sie für ein bisschen Action sorgt.«
»Du glaubst, sie ist nur verschwunden, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken?«
»Um Himmels willen.« Ali verdrehte dramatisch die Augen. »Bei literarischen Interpretationen in der Schule haben Sie bestimmt nur Einsen geschrieben.«
O’Connor musterte sie.
Ali hob die Hand. »Ja, ja. Ich weiß, dass bei Ihnen keine literarischen Interpretationen auf dem Stundenplan standen.«
Anna stellte ihre Tasse behutsam auf die Untertasse und wandte sich Martha zu. »Ich weiß
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