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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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freute Anna sich. »Würde es dir etwas ausmachen, die Segmente in den Leuchtturm zu bringen?«
    »Kein Problem. Ich habe auch die Petroleumtanks mitgebracht, falls Sam sein Okay gibt.« Er senkte den Blick. »Ist alles in Ordnung? Du siehst nicht gut aus …«
    »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Es ist nur … heute Abend …«
    »Ich weiß«, sagte Ray. »Es ist furchtbar. Ich kann es gar nicht glauben.« Er schlug mit der Hand gegen die Hecktür des Lieferwagens. »Na, dann will ich mal anfangen. Ich hoffe, es dauert nicht zu lange. Wir sehen uns dann in der Leichenhalle.«
    »Es ist sonderbar«, sagte Anna. »Wenn ein Kind stirbt, nutzen die Leute jede Gelegenheit, um sich zu verabschieden. Sie sprechen Gebete, wenn der Leichnam zur Kirche gefahren wird, und beim Gottesdienst und am Grab und im Stillen für sich. Ich finde, das ist gut so.«
    Joe kam zum Haus gefahren und parkte seinen Jeep hinter Rays Lieferwagen. Er stieg aus, grüßte Ray und Anna kurz, ging schnell an den beiden vorbei und verschwand in seinem Arbeitszimmer. Er setzte sich an den Schreibtisch, schlug das Telefonbuch von Dublin auf und suchte die Nummer des Trinity College heraus.
    »Abteilung für Zoologie, guten Tag«, sagte eine Frauenstimme.
    »Guten Tag. Mein Name ist Joe Lucchesi. Könnten Sie mich bitte mit dem Fachbereich Entomologie verbinden?«, sagte Joe.
    »Das Sekretariat ist zurzeit leider nicht besetzt, und unser Entomologe, Mr Columb, hält im Augenblick eine Vorlesung.«
    »Könnte ich ihm eine Nachricht hinterlassen, damit er mich zurückruft?«
    »Ja, sicher.«
    Nachdem Joe aufgelegt hatte, schaute er auf die Uhr und warf kurz einen Blick in Shauns Zimmer, ehe er duschte und sich anzog. Joe hatte gerade einen Fuß auf den Toilettendeckel gestellt und rieb mit der Ecke eines weißen Handtuchs über seine schwarzen Lederschuhe, als Anna das Badezimmer betrat.
    »O nein, nicht die Handtücher!«, sagte sie. »Unter dem Spülbecken liegen alte Lappen.«
    Joe hob den Blick. Anna stiegen Tränen in die Augen. »Ich weiß nicht, wie Shaun das überstehen soll.«
    »Mit unserer Hilfe«, stieß Joe mit zusammengepressten Zähnen hervor.
    »Hör mal, es tut mir Leid …«
    »Pssst.«
    Frank stand mit Detective O’Connor vor dem Tor der Leichenhalle. O’Connor trug die rahmenlose Brille, die er an dem Tag getragen hatte, als Katies Leichnam gefunden worden war.
    »Was ist mit Ihren Kontaktlinsen?«, fragte Frank.
    »Die trage ich nicht mehr«, sagte O’Connor. »Sie haben ja gesehen, dass ich davon Augen wie ein Karnickel bekommen habe.« Er lachte humorlos auf. »Wissen Sie eigentlich, dass bei neunzig Prozent aller Straftaten, mit denen unsere Leute zu tun haben, Alkohol im Spiel ist? Alle Welt schimpft über das Trinken, aber viele Leute hindern ihre Kinder nicht daran, Alkohol zu konsumieren. Keiner will glauben, dass sein eigener Sprössling säuft. Es ist nicht zu fassen. Neulich hat Paul Woods ein junges Mädchen nach Hause gefahren. Es war zu betrunken, um aus dem Wagen zu steigen, geschweige denn, allein die paar Schritte zur Haustür zu gehen. Paul musste die Mutter holen. Die Frau wollte ihm zuerst nicht glauben, bis sie schließlich rauskam und ihre Tochter da liegen sah. Fünfzehn Jahre alt, betrunken bis zur Besinnungslosigkeit und in einem Minirock bis zum süßen Hintern. Hinzu kommt das Drogenproblem, was die Leute gar nicht realisieren. Ein Problem, um das meine Männer sich nicht kümmern können, weil sie die Kotze betrunkener Teenies von den Rücksitzen ihrer Wagen wischen müssen, während die organisierten Drogenringe ihren Stoff unter die Leute bringen. Wir stehen verdammt unter Druck. Wenn jetzt noch ein entlaufener Irrer hier herumläuft und junge Mädchen abschlachtet …«
    »Wir tun, was wir können«, sagte Frank. Joe beobachtete Shaun, der zum Seiteneingang der Leichenhalle ging. Er war einen halben Kopf größer als die meisten seiner Freunde und sah in seinem neuen schwarzen Anzug im Vergleich zu den anderen Jungen beinahe schon erwachsen aus. Sie alle waren sichtlich erschüttert, sprachen kaum ein Wort und versuchten, mit ihrer Trauer fertig zu werden.
    Joes Blick schweifte zu den Polizeibeamten, die vor dem Tor standen. Er fragte sich, wie das Verhältnis zwischen ihnen war. Der Detective aus Waterford redete auf Frank ein, der immer wieder höflich nickte. Richie schien sich neben den beiden älteren Kollegen unwohl zu fühlen. O’Connor beobachtete alle Personen, die die Leichenhalle betraten

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