Schattenwanderer
hätte ich erwartet mitanzusehen, wie ein Gnom friedlich eine Flasche erlesenen Weins mit seinem Erzfeind, einem Zwerg, teilt. Selbst wenn man ein zweijähriges Kind fragt, was passiert, sobald ein Gnom und ein Zwerg einander auf einem schmalen Pfad begegnen, würde es antworten: Im besten Fall endet die Begegnung mit einer Rauferei, vermutlich jedoch in einem Duell auf Leben und Tod. Und das stimmt uneingeschränkt – nur nicht in diesem Fall! Weder der kräftige Zwerg, der mit bloßen Händen ein Hufeisen verbiegen konnte, noch sein kleinerer bärtiger Verwandter mit den schmalen Schultern legten es darauf an, einander an die Gurgel zu gehen, sehr zum Missfallen jener vier Gnome, die um die Kanone herumsprangen. Sie brabbelten etwas Abfälliges über den Zwerg, verzichteten aber darauf, ihn auf dem Gelände des Königspalastes zum Duell zu fordern. Und der Gnom erntete finsterste Blicke von seinen Artgenossen, da er die Erinnerung an seine Vorfahren nicht hochhielt und mit dem ärgsten aller Gnomen-Feinde Wein trank.
Ich hatte den Eindruck, die Missbilligung seiner Verwandten perle am Gnom vollständig ab. Er nahm dem Zwerg sogar den topfartigen Hut ab und setzte ihn sich auf den Kopf. Der Zwerg hatte grellrotes Haar, es schien, als züngle flüssiges Feuer auf seinem Haupt. Meiner Ansicht nach waren die beiden Weinkumpane schon ordentlich abgefüllt, was ich merkwürdig fand, denn gewöhnlich vertragen beide Rassen mehr als eine Flasche.
»Und diese Kriegstrophäe bestand nur aus einer einzigen Flasche, Kli-Kli?«, fragte ich den Kobold.
»Wo denkst du hin!«, brauste der Narr auf. »Sie haben mir eine ganze Kiste abgenommen, das ist bloß die letzte Flasche.«
Nach einer Kiste Wein dürften in der Tat selbst ein Gnom und ein Zwerg einen in der Krone haben.
»Dieser rothaarige Zwerg heißt Deler. Das ist Gnomisch und bedeutet Feuer. Sein Freund hört auf den Namen Hallas, auch das ist Gnomisch und meint Glückspilz. Und der da …«, Kli-Kli zeigte auf den Soldaten, der neben einem Rosenbeet einsam seine Schwerter schwang und ein Duell mit einem unsichtbaren Gegner ausfocht, »… der heißt Aal. Das ist ein furchtbarer Eigenbrötler, den keiner meiner Späße aus der Reserve lockt. Den bringst du nicht zum Lachen.«
Die letzten Worte sprach der Narr geradezu beleidigt aus. Dass sich jemand nicht das Geringste aus seinen Späßen machte! Einen solchen Affront gegenüber seiner Berufsehre verkraftete Kli-Kli nicht. Ich ging auf die Verstimmung des Narren gar nicht ein, denn meine ganze Aufmerksamkeit galt den geschmeidigen, makellosen Bewegungen des Wilden Herzens. Ein vollendeter, todbringender Tanz. »Bruder« und »Schwester«, die beiden Klingen in den Händen des Garrakers – und der Mann kam aus Garrak, man erkennt die Einwohner dieses Reichs unfehlbar an der dunklen Haut und dem kohlschwarzen Haar –, vollführten einen wahnsinnigen, silbrigen Wirbel des Todes. Aal glitt von einer Position in die nächste, die Klingen zerschnitten mit atemberaubender Schnelligkeit die mittägliche Luft, die »Schwester« zerhackte sie derart geschwind, dass mein Blick nur das flüchtige Funkeln eines silbrigen Blitzes erhaschte. Ein Schlag, noch einer, ein Stich, ein scharfer Ausfall nach links, der »Bruder« sauste nieder, auf den Kopf des unsichtbaren Feindes, eine Drehung um die eigene Achse, Aals Arm wuchs förmlich, wurde zu einer Verlängerung der »Schwester«, um an den Bauch eines weiteren Feindes heranzureichen. Aal wich zurück, sich dabei mit dem »Bruder« gegen einen vermeintlichen Schlag von rechts schützend, um sogleich aus der Verteidigung heraus mit beiden Klingen anzugreifen. Die »Schwester« traf den Kopf des mutmaßlichen Gegners, der »Bruder« den Körper unterhalb des Schilds.
»Bravo!« Der Narr stieß einen begeisterten Pfiff aus.
Ich teilte seine Meinung uneingeschränkt.
»Garrett, reiß dich vom Anblick dieses Jungen los, während eurer Reise wirst du noch ausreichend Gelegenheit finden, ihn mit seinen Schwertern zu bewundern. Guck dir lieber mal den da drüben an, das lohnt sich.«
Ich konnte an dem Soldaten, auf den der Narr zeigte, nichts Besonderes finden. Das Gesicht mit den schmalen Lippen und den geschwungenen Brauen, den hellblauen Augen und dem trägen Blick, der kurz auf mir und Kli-Kli haften blieb, hatte ebenfalls nichts Bemerkenswertes.
»Was findest du an dem Mann denn Besonderes?«, fragte ich den Narren, der sich erneut hingebungsvoll der Vertilgung seiner
Weitere Kostenlose Bücher