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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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darf man gewiss vertrauen.« Der Zwerg steckte den goldenen Ring sorgfältig in die Innentasche seiner Weste. »Wo waren wir stehen geblieben, Verehrter? Ach ja! Die Zauber! Dann wollen wir doch mal sehen, was ein armer Händler dem Meister so alles anbieten kann!«

Kapitel 9

    Starks Marstall
    Verflucht! In den letzten beiden Monaten hatte ich mich durchaus an die nachts so leer gefegten Straßen und die Stille gewöhnt. Und nun das! In ein paar Minuten würde es Mitternacht sein, aber immer noch waren einige Nimmermüde unterwegs. Grölend verströmten sie wohl eine League gegen den Wind den Geruch nach billigem Wein.
    Aber gut, die Kreaturen des Dunkels waren aus Awendum vertrieben worden! Das musste natürlich gefeiert werden.
    Glücklicherweise befand sich in der Nähe von Starks altem Marstall niemand. Selbst die weinseligsten Schwachköpfe drängte es nicht in diese dunkle Gasse, in der die ärmsten und windschiefsten Häuser im ganzen Hafenviertel lagen. In ihnen lebte allerlei Abschaum, morgens fand man in der Gasse oft genug eine Leiche.
    Und auch tagsüber wagte sich besser niemand hierher, der hier nichts zu suchen hatte. Damit dürfte klar sein: Die Gegend um Starks Marstall genoss nicht gerade den besten Ruf, zumal gleich dahinter das Geschlossene oder, wie es heutzutage auch vielfach hieß, das Verbotene Viertel begann.
    Ich stand in der Dunkelheit neben dem alten und seit Langem schon verlassenen Marstall, gegen die unbehauenen Bretter gelehnt. Die verwitterte Mauer neigte sich, von der Seite sah es vermutlich so aus, als stürzte sie langsam auf mich und begrabe mich unter sich.
    Nichts rührte sich jedoch, alles war still. Nur ab und zu huschte der Schatten eines Menschen durch die Nacht, der versuchte, jene Wesen zu meiden, die imstande wären, ihm für ein paar Kupfermünzen die Kehle durchzuschneiden. Solche Kreaturen konnte man nicht mehr Menschen nennen, sie existierten nur noch an der Scheide zwischen Schatten und Dunkel – und waren wesentlich gefährlicher als eine Horde hungriger Gholen. Dabei waren es einst Menschen gewesen, die nun aber in die tiefste Tiefe abgesunken waren und sich in ewig hungrige, blutdürstige und prinzipienlose Mörder verwandelt hatten, denn nur so konnten sie überleben, hier, in diesem heruntergekommensten Teil Awendums. Die Gegend um Starks Marstall führte genau wie das Geschlossene Viertel ein eigenes Leben und duldete keine Fremden. Weder der König noch die Magier, weder die Stadtwache noch der Rat von Awendum, ja, nicht einmal die Priester dachten daran, an dieser Situation etwas zu ändern und schlossen angesichts dieses kleinen Eitergeschwürs die Augen, frei nach dem Prinzip: Wenn es nicht stört, können wir auch weiterhin damit leben.
    Das ging inzwischen über hundert Jahre so, und ein Ende der Geschichte war nicht abzusehen. Alle machten einen Bogen um diese Gegend und ihre Bewohner, die ihrerseits einen ebensolchen Bogen um all diejenigen schlugen, die einen Bogen um sie machten – und zu gefährlichen Tieren im Körper von Menschen verkamen.
    Nur ein paar Yard vom Marstall entfernt erhob sich die Mauer, ein blendender, grellweißer Fleck in der nächtlichen Düsternis. Ihrem Äußeren haftete rein gar nichts Magisches an, eine schlichte weiße Mauer mit rissigem und teilweise abgeblättertem Putz. Solche Mauern umgeben alle Häuser in sämtlichen Teilen der Stadt. Gut, in diese hier vor mir waren noch allerlei Grobheiten eingeritzt, mit denen die Leute aus der Umgebung versuchten, ihre Kenntnisse von Literatur und Malerei zum Ausdruck zu bringen – was ihnen, offen gestanden, ziemlich misslang.
    Mit ihrer Höhe von zweieinhalb Yard beeindruckte die Mauer allerdings auch kaum. Die würde ich im Nu nehmen. Obwohl sie also kein ernst zu nehmendes Hindernis darstellte, machte ich keine weiteren Interessenten an einem Spaziergang durchs Verbotene Viertel aus. Und auch diejenigen, die hinter ihr lebten, legten wenig Wert darauf, die bewohnten Teile Awendums kennenzulernen. Das hatte der Orden fraglos gut zustande gebracht.
    Abermals beäugte ich diesen Schutz, der die lebenden Viertel Awendums von dem toten trennte. Zuweilen wirkte die Mauer gelb – nämlich dann, wenn der Juninebel ihren weißen Körper mit einem dicken Oberbett bedeckte.
    Der Nebel lebte sein eigenes, rätselhaftes Leben, leuchtete im Licht des Junimondes. Behutsam streckte er seine im lauen Wind zitternden Fühler immer wieder aus. Zärtlich befingerten sie die Luft vor der Mauer,

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