Schattenwanderer
aufstiegen, wo sie zu einer kleinen weißen Wolke verschmolzen, die auf dem Dach des Ladens niederging und wieder zu Buchstaben wurde. Niemand schenkte diesem Wunder Beachtung. In der Straße der Funken bekam man schließlich noch ganz andere Dinge zu sehen. Wunder und Illusionen gab es hier mehr als genug. Stundenlang konnte man mit offenem Mund illusorische Blitze bestaunen, die einen illusorischen Oger erschlugen. Ein lohnender Anblick – den auch jener ungeschlachte Bauer aus dem Süden des Königreichs genoss, dem die allgegenwärtigen Taschendiebe gerade den mageren Beutel abfingerten. Die Burschen legten heute eine maßlose Unverschämtheit an den Tag. Für gewöhnlich wussten die Magier in ihrem Viertel peinliche Zwischenfälle dieser Art zu unterbinden. Kleines Diebsgesindel vertrieben sie ganz und gar erbarmungslos, manches Mal sogar mit harmlosen Angriffszaubern. Das Diebesvolk seinerseits wusste ganz genau, wann es auf gar keinen Fall und wann es durchaus zuschlagen durfte. Heute durfte es. Alle feierten die Vertreibung der Dämonen, der Orden dachte nicht ans Diebespack.
Natürlich ließ sich die Magierschaft nicht dazu herab, ihre Waren feilzubieten, dafür gab es die Händler, die Schüler von Magiern oder sonst wen. Die Magier sorgten lediglich für die Waren oder leisteten magische Dienste. Und selbst das übernahmen meist Magier niederen Rangs.
Nachdem ich durch einen der illusorischen Drachen hindurchspaziert war, kam ich zu einem gänzlich unscheinbaren Geschäft. Hier gab es keinen grellen Feuerregen, keine furchterregenden Monster, keine Zauberer in silbern glänzenden Umhängen. Der eingeschossige Laden wies sich nicht einmal durch ein Schild aus. Er konnte auf jedwede Kundschaft verzichten, die schlicht und ergreifend nicht wusste, wohin mit ihrem Geld. Nein, hier war alles reell, angefangen beim mürrischen Verkäufer, über das breite Warenangebot, bis hin zu den unverschämten Preisen. Wahrhaft horrende Preise waren das!
Dieses unscheinbare Geschäft suchten ausschließlich Leute auf, die etwas von der Sache verstanden.
Als ich die Tür aufstieß, bimmelte fröhlich eine kleine Glocke. Vermutlich würden sich viele Besucher über das Fehlen von Waren wundern. Ein großer Raum mit einem Tisch, Stühlen und einem Zugang in den hinteren Teil. Wer den Weg hierher fand, bekam vom Besitzer die gesuchten Waren eigens aus dem Lager in den Tiefen des Geschäfts ausgewählt.
»Wen bringt das Dunkel denn da noch?«, ließ sich eine tiefe und nicht sonderlich freundliche Stimme vernehmen. »Ich will gerade schließen! Raus hier!«
Aus dem halbdunklen hinteren Teil des Geschäfts kam ein klein gewachsener Kerl, der mir gerade bis zur Brust reichte. Ein Zwerg eben. Wie alle Zwerge hatte er eine massive Stirn, tief sitzende schwarze Äuglein, ein vorspringendes breites Kinn, einen kräftigen, tönnchenförmigen Körper und muskulöse Arme. Und einen unleidlichen Charakter. Menschen auf dem Lande verwechseln oft Zwerge und Gnome. Sie glauben, sie glichen einander wie die Wassertropfen der Isselina. Aber was sollte man schon von Bauern erwarten, die nichts anderes kennen als ihren Pflug? Zwerge unterscheiden sich nämlich durchaus von ihren Brüdern, den Gnomen, die kleiner, schwächer und zarter gebaut sind und zudem etwas tragen, das kein Zwerg – selbst unter Androhung des Todes – je tragen würde: einen Bart.
»Guten Abend, Meister Honhel«, begrüßte ich ihn.
»Ah!«, erwiderte der Zwerg und wischte seine Pranken an der Lederschürze ab. »Meister Garrett. Guten Abend, guten Abend. Ich wollte Euch schon beinah aus dem Geschäft jagen. Ihr wart lange nicht hier. Was macht der Blick?«
»Der lässt nicht zu wünschen übrig.« Honhel erkundigte sich nach meinen Fähigkeiten, nachts zu sehen, die ich mit Hilfe eines vor einem halben Jahr bei ihm erstandenen Elixiers verbessert hatte.
»Was führt Euch dann zu mir? Noch dazu um diese Zeit …«
»Ich möchte etwas kaufen.«
»Viel?« Der Zwerg kniff die Augen zusammen und überschlug im Geiste bereits, wie sehr er mich schröpfen könnte.
»Das wäre durchaus möglich, Meister Honhel. Das hängt vom Angebot ab.«
»Aber, aber, Meister Garrett«, murrte der Zwerg beleidigt. »Hattet Ihr denn je etwas an meinem Angebot zu beanstanden?«
»Bisher nicht. Aber Ihr werdet zugeben müssen, verehrter Meister Honhel, dass es für alles ein erstes Mal gibt.«
»Aber nicht bei mir!«, erwiderte der Zwerg lachend, während er mich an den Tisch
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