Schattenwanderer
Honhel machte gar keinen Hehl daraus, wie sehr ihn dieser Kauf verwunderte. Ich befriedigte seine Neugier jedoch nicht, sondern rächte mich auf diese Weise für die wahrhaft horrende Summe, die er mir abgeknöpft hatte. In der einen Stunde meines Besuchs hatte er so viel verdient, wie manch einer sein Lebtag nicht. Nun gut, der Unaussprechliche sei mit ihm! Das Geld kommt, das Geld geht, über solche Kleinigkeiten sollte ich mich nicht aufhalten.
»Ba-aa-mmm-mm!« Ein einziger Schlag der magischen Glocke in der Tempelanlage zerriss die Nacht.
Dieses »Bamm« war in allen Gassen Awendums zu hören und verkündete die Mitternacht. Es wurde Zeit.
Ich hob das Fleisch vom Boden auf und huschte aus dem Schatten neben dem Marstall, um rasch zu der magischen Mauer hinüberzurennen. Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als plötzlich Schritte zu hören waren. Fluchend stürzte ich zurück, in den rettenden Schatten des verlassenen Marstalls.
Aus einer Gasse tauchten menschliche Silhouetten auf. Ich betrachtete sie mit meinem magisch geschärften Blick. Die Stadtwache. Ein Dutzend Soldaten. Alle in Kürassen, mit angespannten, sogar finsteren Gesichtern. Was zum Dunkel hatten die hier bloß zu suchen? Normalerweise musste man die Stadtwache doch geknebelt hierherschleifen! Niemand war in dieser Gegend dermaßen wenig gelitten wie Soldaten.
Die Ordnungshüter traten auf eine mondbeschienene leere Straße hinaus und blieben stehen, die Hellebarden in ihren Händen fest gepackt und nervös zur Mauer hinschielend. Neugierig beobachtete ich diese Burschen. Obwohl mich nur wenige Yard von ihnen trennten, machten mich die eifrigen Kämpfer gegen das Verbrechen in dieser Dunkelheit nicht aus.
»Niemand«, brummte einer von ihnen. »Hier ist niemand, Justin.«
»Wen hast du denn erwartet, hier zu treffen, Roe? Deine Mama?«, giftete ein anderer, vermutlich war es besagter Justin.
Einige Soldaten kicherten nervös, hielten die verängstigten Blicke jedoch fest auf die Mauer gerichtet.
»Nein«, antwortete Roe pampig, »aber ich habe gehofft, diesen Dreckskerl zu schnappen und zurück in die Federn kriechen zu können.«
»Es war deiner Hoffnung eben nicht vergönnt, in Erfüllung zu gehen«, bemerkte ein sehr magerer Soldat, der mir am nächsten stand. »Wie bist du eigentlich darauf gekommen, dass der Dieb hier sein könnte, Justin?«
Der Dieb? Hört, hört!
»Würd’ mich auch interessieren!«, mischte sich ein Soldat mit rotem Zottelbart ein. »Diese verdammte magische Mauer ist lang. Warum sollte er ausgerechnet hier sein? Ich selbst würd’ hier gern wieder weg! Mir gefällt’s hier nicht!«
»Dir gefällt’s doch nirgendwo!«, bemerkte ein anderer Soldat.
»Halt die Schnauze!«, giftete Rotbart.
»Ruhe jetzt!«, brüllte Justin, und seine Stimme donnerte durch die nächtliche Stille. »Glaubt ihr eigentlich, mir gefällt es hier? Ich würde jetzt liebend gern zu Hause sitzen, einen Wein trinken und mich an meiner kleinen Frau erfreuen«, fuhr Justin schon leiser fort. »Aber ihr seid alle freiwillig hier, also hört auf zu jammern!«
»Wenn ich gewusst hätte, was uns erwartet«, nörgelte derjenige, der Roe hieß, »hätte ich mich nie auf diese Sache eingelassen. Selbst für zehn Goldmünzen nicht.«
Zehn Goldmünzen für diese Dreckskerle? Das war recht viel Geld.
»Aber du hast zugestimmt, oder?«, fragte der Soldat, der ihn eben angefahren hatte. »Und du hast das Geld eingesteckt, genau wie alle anderen. Also hör auf zu jammern.«
»Vielleicht sollten wir uns mal umsehen?«, schlug Rotbart vor. »Wieso glaubst du, dass dieser Garrett hier ist? Hier gibt’s doch gar nichts zu stehlen.«
Garrett? Die wackeren Soldaten der allgemeinen Ordnung würden doch wohl nicht hier herumstreichen, um mein teures Leben zu retten? Oder bestellte mich Frago Lonton etwa schon wieder zu sich? Noch dazu auf diese Weise?
»Warum hier? Warum hier?«, giftete ein Gigant, der bisher geschwiegen hatte. In seinen Händen wirkte die Hellebarde wie ein Spielzeug. »Weil uns gesagt worden ist, er sei hier, du Idiot.«
»Und wer hat das gesagt?«
»Baron Lonton bestimmt nicht«, kicherte Bohnenstange. »Der würde nie zehn Goldmünzen für den Kopf irgendeines Diebes zahlen.«
»Halt lieber deine Zunge in Zaum, Yargee«, brummte Justin. »Sonst kann es sein, dass sie dir noch abgeschnitten wird.«
»Schon gut, Justin, ich sag ja schon gar nichts mehr«, erwiderte Yargee verängstigt.
»Das
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