Schattenwandler 01. Jacob
mit ungeheurer Kraft hereinzerrte und ihn wieder erscheinen ließ. Kaum hatte der urälteste Dämon wieder feste Gestalt angenommen, taumelte Elijah ein paar Schritte zurück und sank erschöpft zu Boden. Es hatte ihn seine ganze Kraft gekostet, eine solche Leistung über eine so große Entfernung zu vollbringen.
Mit seinen silbernen Augen erfasste Gideon das Chaos um ihn herum. Der Urälteste zeigte nur selten Gefühle, doch diesmal tat er es. Er fluchte. „Was ist passiert?“
„Wir wissen es nicht“, erwiderte Jacob. Er fasste schnell zusammen, was er und Elijah gesehen hatten, während sich der Heiler neben Noahs und Legnas reglose Körper kniete.
Gideon berührte das verschmorte Handgelenk des Königs und senkte seinen Geist in Noahs Körper. Die Lunge des Herrschers war von der irrsinnigen Hitze, die er eingeatmet hatte, verkohlt. Abgesehen davon hatten seine Haut und sein Haar am meisten gelitten. Für einen Menschen wären solche Verbrennungen tödlich gewesen, doch für Gideon war es ein Leichtes, alles wieder in Ordnung bringen. Er begann damit, sämtliche Schmerzrezeptoren im Körper des verletzten Dämons auszuschalten. Dann heilte er die Lunge und regte sie an, ein bisschen schneller zu arbeiten und auch ein bisschen anders, um den Körper des Königs noch intensiver mit Sauerstoff zu versorgen. Schließlich machte sich Gideon daran, Noahs Haut sorgfältig zu regenerieren. Eine Zelle nach der anderen. Es dauerte fünfzehn Minuten, bis die beiden Dämonen, die mit angehaltenem Atem danebenstanden, das erste gesunde Fleisch entdeckten. Als Gideon fünfzig Prozent von Noahs zerstörter Haut geheilt hatte, hielt er inne und wandte sich Legna zu. Denn wenn er wartete, bis der König wieder vollständig genesen war, würde er Legna verlieren. Mit den Fingerspitzen berührte der Heiler die einstmals so schöne Wange des weiblichen Dämons.
Er war sich nicht bewusst, dass er vor sich hin flüsterte, während er sie versorgte. Fasziniert beobachtete Jacob, wie Gideon mental eine Liste von Prozeduren abarbeitete, die für ihre vollkommene Wiederherstellung notwendig waren. Es ging schnell und ohne Probleme. Schon kurz darauf zeigte sich Legnas natürlicher Hautton an ihren Gliedmaßen, ihrem Hals und in ihrem edlen Gesicht. Bald sah sie wieder rosig aus, sanft und schön.
Aber Gideon wandte sich noch nicht wieder dem König zu. Er zog Legna über seine Schenkel und zog ihr behutsam die Bluse aus, wobei er sorgfältig darauf achtete, sie zu bedecken. Dann hob er die bewusstlose Dämonin in seine Arme und strich mit den Fingerspitzen sanft über ihren kahlen, aber frisch verheilten Schädel, während er seine Lippen so nah an ihre Haut legte, dass sein flüsternder Gesang anmutete wie ein Kuss. Innerhalb von einer Minute begannen kaffeebraune Locken auf ihrem Kopf zu wachsen. Nach fünf Minuten reichten sie ihr schon bis zu den Schultern. Gideon hörte nicht auf, bis Legnas Haar wieder so lang war wie zuvor und um seine Arme und Schenkel floss.
Vorsichtig bettete er Noahs Schwester dann wieder auf den Boden, und seine Fingerspitzen berührten einen Moment lang ihre Halsbeuge. Er seufzte und wandte sich anschließend wieder dem König zu. Der mächtige Körperdämon schonte sich trotz der ungeheuer schweren Aufgabe nicht eine Sekunde, und in seinen kristallklaren Augen war keine Spur von Erschöpfung zu sehen.
Bevor er als letzten Schritt nur noch Noahs Haar wieder wachsen lassen musste, hielt Gideon noch einmal inne und musterte Isabella. Dann erhob er sich und stieg über die beiden nun schlafenden Dämonen hinweg und hockte sich gegenüber von Jacob auf den Boden. Obgleich er wusste, dass Gideon alles tun würde, was in seiner Macht stand, um Isabella zu helfen, konnte Jacob den flehenden Ausdruck in seinen Augen nicht unterdrücken. Gideon streckte die Hand nach Isabella aus, doch dann zögerte er.
„Jacob, ich muss sie berühren, um sie zu heilen.“
„Das weiß ich. Warum zögerst du?“ Der Vollstrecker konnte die Ungeduld in seiner Stimme nicht zügeln.
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein geprägter Partner manchmal nicht gut darauf reagiert, wenn jemand vom anderen Geschlecht seinen Gatten berührt, auch wenn es ganz harmlos und wohlmeinend ist.“
Jacob runzelte die Stirn, und im ersten Moment wollte er es als lächerlich abtun, dass Isabella wegen einer so albernen Anwandlung von Eifersucht nicht versorgt werden sollte. Aber dann erinnerte er sich an die feindseligen Gefühle, die
Weitere Kostenlose Bücher