Schattenwandler 01. Jacob
Darum war ein Vollstrecker gezwungen, in den Ruhestand zu gehen, sobald er oder sie auf einen Partner geprägt worden war. Denn wie sollten sie wachsam sein in diesen beiden schlimmsten Nächten des Jahres, wenn sie in dieser Zeit selbst von ihrem Partner besessen waren? Schon jetzt saß Jacob da und wich keine Sekunde von Isabellas Seite.
Gideon hatte über dieses Thema geschwiegen und es auch vor dem Rat geheim gehalten. Er dachte sich, ein Paar als Vollstrecker konnte auch Vorteile bringen. Denn er wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass Jacob alles genommen wurde, wofür er die letzten vierhundert Jahre gelebt hatte.
„Jacob, du musst von hier verschwinden.“ Jacob blickte so schnell zu ihm hinüber, dass Gideon hörte, wie sein Genick knackte. Doch er hielt dem tadelnden Blick des Vollstreckers stand. „Heute Nacht ist es nicht nötig, dass du ständig in ihrer Nähe bist. Ihre Wunden sind bereits vollständig verheilt, und der natürliche Schlaf wird ihre Energiereserven wieder auffüllen, bis du bei Sonnenaufgang zurückkommst.“
Der Vollstrecker antwortete nicht. Stattdessen wandte er sich ab, um in das hübsche schlafende Gesicht von Isabella zu sehen.
„Jacob …“, versuchte Gideon es erneut. „Jacob, du kannst hier nicht sitzen, bis sie aufwacht. In dieser Nacht hast du andere Pflichten zu erfüllen.“
„Die Nacht ist vorbei“, erwiderte Jacob kalt.
„Es sind noch drei Stunden. Du musst dafür sorgen …“
„Du brauchst mir nicht zu sagen, was ich tun soll!“, brüllte Jacob und sprang mit geballten Fäusten auf, wobei er seinen Stuhl so heftig zurückstieß, dass er an der Wand zerbarst. „Untersteh dich, mir zu sagen, wann und wie ich meine Pflicht zu tun habe! Du weißt genau, wie ernst ich meine Aufgaben nehme, Urältester!“
Trotz des heftigen Angriffs blinzelte Gideon nicht einmal. Der Blick seiner metallisch schimmernden Pupillen glitt zu dem zertrümmerten Stuhl und dann wieder zurück zu Jacob.
„Du hast noch keine Vorstellung davon, wie stark die Verbindung ist, auf die du dich eingelassen hast, Jacob. Irgendwelche Märchen und lange zurückliegende Erinnerungen von Noahs Eltern können dich nicht darauf vorbereiten, was es wirklich bedeutet, geprägt zu sein.“
„Tatsächlich? Willst du das nicht Noah erzählen?“ Jacob lächelte breit, aber ohne jeden Humor und ohne jede Freundlichkeit. Es war das Lächeln eines Raubtiers, das nach seiner Beute schnappt, um sie abzulenken, bis sie vor Angst einen Fehler macht.
„Noah kennt die Vor- und Nachteile der Prägung nur zu gut. Mit geprägten Eltern aufzuwachsen ist etwas völlig anderes, als wenn man so etwas nur aus der Ferne erlebt. Und doch weißt du schon jetzt mehr als er, und mehr, als er jemals wissen wird. Nämlich was für ein Gefühl es ist, mit den Bedürfnissen eines anderen Lebewesens so eng verwoben zu sein. Du darfst nicht vergessen, dass ich mehr darüber weiß als du und dass du meinem Rat vertrauen musst. Isabella darf niemals wichtiger für dich werden als deine Arbeit.“
Jacob antwortete mit einer Beleidigung aus ihrer Sprache, womit er dem uralten Heiler ziemlich deutlich machte, was er von dessen Meinung hielt. „Und das kommt ausgerechnet von jemandem, der vor einem Jahrtausend so empfindlich auf diese Verbindung reagiert hat“, zischte Jacob.
Dieser Schlag des Vollstreckers hatte gesessen. Gideon begriff, dass nur jemand, der so diplomatisch sein konnte wie Jacob, auch in der Lage war, mit Worten so grausam zu sein.
„Es gibt ein Gesetz, Jacob, demzufolge der Vollstrecker von seinen Pflichten entbunden wird, sobald er geprägt ist.“
Obwohl seine Worte einfach nur direkt und keineswegs grausam waren, machten sie sichtlich Eindruck auf Jacob.
„Davon habe ich noch nie …“ Jacob schluckte.
„Ja, und du hast auch noch nie etwas davon gehört, dass Druiden sich mit Dämonen paaren“, entgegnete Gideon ungeduldig. „Jacob, wir waren einmal Freunde, und ich sage dir das als jemand, der den Verlust unserer Freundschaft sehr bedauert. Ich sage nicht, dass dieses Gesetz immer noch angewandt wird, und ich sage auch nicht, dass überhaupt jemand weiß oder darauf kommen wird, dass es existiert. Ich hoffe, dass das nicht passiert, damit du genug Zeit hast … zu beweisen, dass es nicht mehr notwendig ist.“
Jacob streckte die Finger seiner linken Hand, dann ballte er sie unruhig wieder zur Faust.
„Aber wenn dir jetzt nur ein Dämon durch die Fänge schlüpft, wenn nur ein Mensch
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