Schattenwandler 01. Jacob
Erde, aus der Natur mit all ihren Geschöpfen. Isabella begriff, dass dies niemals von ihm zu trennen war, egal, wie zivilisiert und intelligent er auch war. In einer Verbindung von Moral und Instinkt betrachtete Jacob Noah als Beleidigung und als Bedrohung seiner Gefühle und seines Besitzanspruches auf sie.
So abgeschirmt von Noah, gab es für Isabella nur ein Wesen, das sie um Hilfe bitten konnte. Sie sah zu Legna hinüber, und ihre großen veilchenfarbenen Augen flehten die Dämonin an, etwas zu tun. Sie betete, dass die Empathin verstand, was vor sich ging. Legnas graue Augen, die so sehr denen ihres älteren Bruders glichen, waren gesenkt. Sie schützte sich vor den vielen widerstreitenden Gefühlen, die durch den Raum schwirrten. Doch als Isabella ihr den verzweifelten Gedanken sandte, sah die Empathin schnell auf.
Warum kannst du Jacob nicht fühlen? Warum kannst du nicht verstehen, was passiert?, fragte Isabella verzweifelt. War sie falsch informiert über die Kräfte der schönen Diplomatin? Es war alles so neu für sie. Vielleicht beruhte ihre Vorstellung von den Kräften der Dämonen nur auf ihrer Einbildung.
Doch diesen Gedanken verwarf sie schnell, als eine Woge aus purer Hitze von Noah herüberrollte und sie traf wie die erstickende Druckwelle einer Explosion. Der Dämonenkönig öffnete die Faust, ein Zucken fuhr durch seine Finger, und ein Feuerball schoss aus seiner Hand.
„Legna, bring deinen Schützling in Sicherheit“, befahl der Herrscher mit rauer Stimme und voll bedrohlicher Kraft.
Da ertönte ein furchterregendes Rumpeln, und Isabella spürte, wie die Erde unter ihren Füßen bebte. Sie krallte sich in Jacobs Hemd, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, obwohl der schützende Arm, der sie hielt, sich noch fester um sie legte.
„Noah, warte!“
Es war Legna, die gerufen hatte. Sie trotzte der ungeheuren Hitze, die ihren feindlich gesinnten Bruder umgab, und griff nach seinem Arm, den er mit feuriger Munition geladen hatte. Sofort nahm Noah den Feuerball wieder in sich auf, damit er sie nicht verbrannte.
„Oh, Gott sei Dank“, stöhnte Isabella leise. Sie barg ihr Gesicht an Jacobs Rücken und hielt sich weiter an ihm fest.
„Legna!“ Noah strafte seine Schwester mit einem wütenden Knurren.
„Noah, es ist nicht so, wie du denkst. Hör auf!“ Sie zog heftiger an ihm, und er versuchte sie abzuschütteln. Legna wusste nur zu gut, wie schwierig es war, das Feuer in ihrem Bruder wieder zu löschen, wenn es erst einmal entzündet war. So war nun einmal das Wesen des Feuers, und das lag nicht an ihm. Sie spürte, dass er sich im Recht fühlte, sie spürte aber auch seine Erregung darüber, dass er gezwungen war, einen Freund niederzuringen. Er war wütend. Wütend auf den Heiligen Mond, von dem er glaubte, dass er Jacob zum wilden Tier werden ließ, dass er sein ganzes Volk verrohte. „Noah, hör mir zu“, sagte die Empathin eindringlich, aber mit sanfter und melodischer Stimme. Isabella spürte, wie sich etwas in Jacob veränderte, nur ganz wenig, aber spürbar. Die knurrenden Laute, die aus seiner Kehle gedrungen waren, verstummten fast ganz. „Nicht der Mond macht Jacob verrückt“, fuhr Legna fort und hüllte die Männer und Isabella mit ihrer weichen Stimme ein. „Höre, was ich dir sage, mein geliebter Bruder. Ich fühle, was er fühlt. Ich weiß es. Vertrau meinem Wissen.“
„Jacob würde mich niemals bedrohen, wenn er bei Verstand wäre“, entgegnete der König, aber er wandte endlich den Blick von seinem Gegner ab und sah seiner Schwester in die flehenden Augen.
„Es sei denn“, erwiderte sie leise, „du hast etwas getan, was er als Bedrohung für Isabella empfindet. Noah, du darfst nicht vergessen, dass es etwas gibt, was die beiden verbindet, etwas, was sie unaufhaltsam zueinander hinzieht.“
„Der verfluchte Mond ist der Grund“, stieß Noah hervor.
„Er verstärkt es. Das ist wahr, und wir wissen es. Der Heilige Mond verstärkt das, was wir fühlen. In Jacobs Herz, im Kern seines Wesens, ist er der Beschützer der Unschuldigen. Normalerweise unschuldiger Menschen. So wird er sich immer verhalten. Selbst gegenüber dir. Und gleichzeitig ist es seine größte Angst, dass er eines Tages für einen dieser Unschuldigen gegen dich kämpfen muss.“ Legna streckte eine Hand aus und strich ihrem Bruder beruhigend über das Haar. „Nimm beides zusammen, und die kleinste Beleidigung wirkt, als würde man das Territorium eines Vampirs betreten, dem man nicht
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