Schattenwandler 01. Jacob
ihr Schaden zufügen! Zum Teufel, das habe ich schon!“ Jacob vergrub seine langen Finger in ihrem samtweichen Haar und ballte wütend die Faust. Es auszusprechen quälte sein Gewissen und schnitt ihm ins Herz wie tausend scharfe Klingen.
„Hast du …?“
„Nein! Natürlich nicht! Ich habe dir schon gesagt, dass ich Angst habe, ihr wehzutun. Außerdem, wenn es so weit gekommen wäre, glaubst du nicht, dass Elijah, Legna oder du selbst euch auf mich gestürzt hättet?“
„Niemand hat euch gestern im Kellergewölbe gestört“, bemerkte Noah.
Jacob warf dem Dämonenkönig einen warnenden Blick zu.
„Du hast es gewusst.“
Es war eine Feststellung, keine Frage. Die Frage blieb unausgesprochen, und sie kannten sie beide. „Erst danach“, versicherte er ihm. „Ich bin überzeugt, du hast das Richtige getan, Jacob. Schließlich bist du der Vollstrecker.“
„Ich habe wohl kaum das Richtige getan, Noah.“ Jacobs Stimme war tief und drohend, und seine Augen schossen Blitze aus schwarzem Feuer ab. „Ich kann es nicht erklären …“ Jacob musste sich räuspern, weil er einen Kloß im Hals hatte. „Wenn sie bei mir ist, wenn sie mir nur einen Blick zuwirft oder wenn sie lächelt …“ Noah konnte hören, wie der Vollstrecker kurz mit den Zähnen knirschte. „Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, was richtig ist.“
„Wenn wir diese Prophezeiung korrekt deuten, wäre es richtig gewesen, sie zu nehmen.“
„Verdammt, wie kannst du nur so locker darüber reden!“, fauchte Jacob, sprang auf die Füße und ging auf den König zu. „Du würdest sie einfach für ein Experiment von solcher Tragweite benutzen? Mich benutzen? Obwohl du weißt, dass es sie sehr wohl töten könnte und dass ich für den Rest meines Lebens verdammt sein würde?“
„Besser ihr zwei als unsere gesamte Art“, entgegnete Noah. Bevor Jacob antworten konnte, fügte er schnell hinzu: „Ich sage das als Führer eines großen Volkes, Jacob. Es ist meine Bestimmung, solche Entscheidungen zu treffen. Das Wohlergehen vieler gegen das Wohlergehen eines Einzelnen abzuwägen – oder in diesem Fall von zweien. Und starr mich nicht so voller Verachtung an, Vollstrecker. Du triffst jedes Mal genau die gleiche Entscheidung, wenn du einen von uns bestrafst, der über die Stränge schlägt. Du hast die gleiche Entscheidung getroffen, als du Myrrh-Ann gesagt hast, du würdest Saul ausfindig machen, obwohl du genau wusstest, dass noch nie ein Dämon, der abberufen worden ist, unversehrt gerettet werden konnte und dass du gezwungen sein würdest, ihn zu töten.“
Jacob wusste, dass es stimmte, was Noah sagte, aber trotzdem ging es seinem Gewissen nicht besser. Irgendwie war Isabellas Unversehrtheit ihm eine viel persönlichere Sache und auch sehr viel wichtiger. Sie war unschuldig in so vieler Hinsicht, und sie hatte nie darum gebeten, Teil ihrer Politik oder ihrer Erlösung zu werden.
„Genauso, wie du unsere Tabus kennst, Jacob, ist dir unser Glaube an das Schicksal bekannt. Wenn das ihre Bestimmung ist, dann kann niemand von uns etwas dagegen tun“, erinnerte Noah ihn mit beruhigender Stimme. „Du lehnst dich auf, aber ich spüre, dass du in deinem Herzen, im Innersten deiner Seele, schon weißt, dass sie deine Partnerin ist. Sie ist deine Gattin. Sie ist die einzige Frau, die in dem Vollstrecker, der vor mir steht, so große Ergebenheit hervorgerufen hat. Sie ist der einzige Mensch, der dich jemals wirklich verlockt hat. Du hast über ein halbes Jahrtausend gelebt, Jacob, und jetzt, in diesem Moment, bist du zum ersten Mal in Versuchung, vielleicht gegen alles zu handeln, was man dich gelehrt hat. Sie gehört dir, Jacob“, sagte Noah eindringlich. „Es ist ihr Schicksal, und sie gehört dir.“
„Ich werde ihr nicht wehtun. Ich will ihr unsere Prophezeiungen nicht aufzwingen.“ Mit steifen Schritten ging Jacob zurück zur Couch, betupfte noch einmal Isabellas Wunde und strich mit den Fingern durch ihr betörendes Haar.
„Du hast keine Wahl. Wenn sie nicht ein Mensch wäre, würde ich euch beiden vorwerfen, dass ihr im ersten Stadium der Prägung seid. Die telepathische Verbindung, dieses unübersehbare Verlangen, euch zu paaren …“
„Aber sie ist ein Mensch, Noah, und bei ihr funktioniert die Prägung nicht. Sie funktioniert ja nicht einmal bei uns! Seit über zwei Jahrhunderten hat es keine Prägung mehr gegeben, und davor genauso lange auch nicht. Und wenn du noch so sehr versuchst, sie in unsere Form
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