Schattenwandler 01. Jacob
Tritt.“
Jacob vergrub lächelnd sein Gesicht in ihrem Haar. „Danke für die Warnung.“
„Eigentlich …“, sie drehte sich in seinem Arm zu ihm um, und ihre veilchenfarbenen Augen und seine schwarzen Augen trafen sich, „… denke ich, ich werde Noah einen Tritt verpassen. Dann würde ich mich besser fühlen.“
„Bitte, tu das, ich würde mich dann auch besser fühlen.“ Jacob streichelte wieder die seidenweiche Haut ihrer Wange. Mit dem Daumen strich er über ihre Unterlippe.
„Kannst du mir eine Frage beantworten?“
„Warum haben wir das Gefühl, dass wir uns schon Jahrzehnte kennen, obwohl wir uns erst vor ein paar Tagen getroffen haben?“
„Verräter“, warf sie ihm vor.
„Tut mit leid. Deine Gedanken sind für mich einfach ein offenes Buch, da kann ich nicht widerstehen.“
„Soll das eine Entschuldigung sein? Es klingt mehr wie ein Angriff auf meinen Charakter.“
„Willst du, dass ich die Frage beantworte, oder sollen wir darüber diskutieren, wer sie hätte stellen sollen?“
„Hat die Antwort irgendetwas mit Prophezeiungen und Schicksal zu tun? Denn wenn das so ist, krieg ich, glaube ich, ziemlich heftige Kopfschmerzen.“
„Eigentlich“, meinte er, „wollte ich mich mehr auf die alte Theorie von der übereinstimmenden Chemie stützen.“
„Oh. Das klingt ziemlich normal. Eigentlich sogar ziemlich menschlich.“
„Verkneif es dir lieber“, erwiderte er, und in seinen Augen blitzte der Schalk auf.
„Du zuerst.“
Er zog ihren Kopf zurück und hob überrascht eine dunkelbraune Braue. „Isabella, flirtest du mit mir?“
Sie seufzte dramatisch. „Nicht besonders dezent, was?“
Jacob lachte und drückte ihre Stirn gegen seine Lippen, um sie zu küssen. Dann schmiegte er ihren Kopf unter sein Kinn und drückte ihren kleinen Körper an sich.
„Ich werde nicht schlau aus dir, Bella. Obwohl du überhaupt keinen Grund hast, dich für mich und mein Volk verantwortlich zu fühlen, tust du es trotzdem. Ich kann deinen Überlegungen nicht folgen, egal, wie tief ich in dein Bewusstsein eindringe.“
„Nun ja“, erwiderte sie nachdenklich, „ich glaube, das kommt daher, dass immer wenn ich mich aufrege, mein Verstand vorprescht und jedes Gefühl verdrängt. Ich fange an zu denken. Ich versuche, hinter deine Beweggründe zu kommen, und ich begreife sie. Und wenn man erkennt, dass ihr alle nur ums Überleben und um euren Seelenfrieden kämpft, so gut ihr könnt, ist man gar nicht mehr wütend.“
„Bella?“
„Mmm?“
„Wenn du tatsächlich für mich bestimmt bist, wäre ich das glücklichste Wesen auf diesem Planeten.“ Er hielt kurz inne, denn etwas Unerfreuliches ging ihm durch den Kopf. „Ich weiß nicht, ob du von dir dasselbe behaupten könntest.“
Isabella richtete sich auf und stützte sich auf einen Ellbogen, sodass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Sie fragte sich, ob ihm bewusst war, dass seine Hände ihr automatisch folgten, wenn sie sich bewegte, und ihr Gesicht berührten oder ihr durchs Haar fuhren. „Warum sagst du so etwas Schreckliches?“
Ein nicht zu benennendes Gefühl schimmerte in seinen Augen. Sie vermutete, dass er über ihre Antwort nachdachte. Sie begann zu begreifen, dass er immer sehr sorgfältig nachdachte, bevor er antwortete.
„Ich bin einfach daran gewöhnt, dass die Leute mich nicht mögen. Man betrachtet mich als notwendiges Übel.“
„Noah sieht dich überhaupt nicht so“, entgegnete sie.
Er dachte einen Augenblick darüber nach und nickte dann. „Das stimmt. Aber bisher musste ich Noah oder jemanden aus seiner Familie auch nie bestrafen. In den vergangenen vierhundert Jahren, besonders in letzter Zeit, hat es kaum eine Familie gegeben, die nicht irgendwie mit dem Vollstrecker in Berührung gekommen ist. Strafe ist etwas sehr Ernstes und wird niemals vergessen. Und bitte frag mich nicht nach Einzelheiten, denn darüber werde ich nicht sprechen. Es reicht, wenn ich sage, dass ich zu niemandem ein besonders gutes Verhältnis habe.“
„Und was ist mit dir? Ich meine, wird dich jemand bestrafen, wegen … wegen mir?“ In ihren großen Augen war deutlich zu lesen, dass ihr dieser Gedanke überhaupt nicht behagte.
Jacob antwortete nicht sofort. Wie könnte er auch? Das war ein völlig neues Gebiet für alle. Er konnte dazu überhaupt nichts sagen. Die Erkenntnis machte ihm Sorgen. Bisher hatte er sein Leben ausschließlich einem Zweck gewidmet, der nicht in Zweifel gezogen wurde, auch wenn dieser Zweck ihm einige
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