Schattenwende
baumelten.
„Sie haben dich reingelegt, Menschenfrau. Sie haben dich geködert. Und du hast bereitwillig unschuldige Lebewesen verfolgt, weil du ihnen einfach geglaubt hast.“
Er ließ angewidert ihren Kopf los. Ihre Augen fielen wie von selbst zu.
Sie dachte an ihre Mutter.
Tropf … … tropf … …
„Mama“, flüsterte sie, zu schwach, um Realität und Halluzination zu trennen.
Wenn der steinige Boden bloß nicht so kalt wäre. Ihre tauben Glieder wollten zittern, beben, so heftig beben, dass das zerstörte Haus vollends in sich zusammenbrach. Mit jedem rasselnden Atemzug, den sie nahm, strömte eisige und zugleich so heiße Luft in ihre Lungen, dass sie das Gefühl hatte, zu ersticken.
Tropf.
Sie war nie gläubig gewesen, doch sie hatte immer angenommen, der Tod wäre barmherziger. Das leere Nichts in ihr war enttäuschend und traurig.
Kein helles Licht. Kein Tunnel. Kein Paradies.
Aber das hatte sie auch nicht verdient.
Sie war für die Hölle bestimmt.
„Ria, sieh nur, sie sind wieder …“ Daphne verstummte.
Die dankbare Erleichterung verflog. Eine Welle des Schmerzes, wie sie ihn noch nie erlebt hatte, erfasste sie stattdessen.
Daphne fiel keuchend auf die Knie und krallte ihre Finger in den weichen Teppich. Ihr Kopf dröhnte hämmernd, ihre Brust zog sich bei jedem Atemzug krampfhaft zusammen und jeder Zentimeter ihrer Haut brannte. Ein kalter Luftzug umwehte sie, als die Haustür aufgerissen wurde und die Krieger mit lautem Gepolter zurückkehrten.
Ihre Augen schmerzten, und so konnte sie nur die Silhouette eines Vampirs erkennen, der sich neben sie kniete und ihre Hand ergriff. Bei der Berührung heulte sie auf vor Qual. Das Brennen schien selbst ihre Knochen und Muskeln verätzen zu wollen.
Etwas war schief gegangen. Jemand war verletzt. Schwer verletzt. Sie krümmte sich unter der Wucht der Empfindungen, die auf sie reflektiert wurden. Der Schmerz vernebelte ihre Sinne, ihren Verstand und erschwerte das Vorhaben, die Barrieren, die sie in diesem Haus hatte fallen lassen, zu erneuern.
Sie atmete rasselnd ein, schöpfte Kraft aus den warmen Fingern, die ihre umschlossen hielten, und sackte erlöst nach vorne, in Arme, die sich schützend um sie schlangen.
Mit einem für sie deutlich vernehmbaren Klicken senkte sich ihr Schutzwall um ihr Bewusstsein. Der Schmerz verschwand nicht, reduzierte sich aber auf ein erträgliches Maß.
„Was ist passiert?“, flüsterte sie besorgt und hob das Gesicht, um in Reagans Augen nach einer Antwort zu forschen.
„Es ist alles gut gegangen, Kleines. Wir sind alle unverletzt. Uns ist nichts passiert. Die Station ist zerstört. Endlich werden wir unsere Ruhe haben. Zumindest hier.“
Er strich ihr beruhigend durch das seidige Haar. Sie spürte seine Aura, die so viel friedlicher geworden war. Dieser Verlust würde die Organisation treffen, egal wie weit sie sich im Rest der Welt ausgebreitet haben mochte.
„Ich bin froh, dass es euch gelungen ist. Aber wo ist die Quelle für die Schmerzen, die ich fühle?“, fragte Daphne ihn drängend.
Er legte einen Arm an ihre Taille und hob sie mühelos hoch.
„Sieh dort. Dwight hat jemanden mitgebracht“, raunte er in ihr Ohr und zog sie näher zu der Person, die der Vampir auf das Sofa gelegt hatte.
„Herrgott im Himmel“, entfuhr es ihr entsetzt, als sie die zahlreichen Prellungen, Quetschungen und tiefen Fleischwunden sah, die den Körper der Frau verunstalteten. Getrocknetes Blut haftete an ihrer zerrissenen Kleidung, an ihren Wangen, und verklebte ihre blonden Haare. Ihr Brustkorb lag so verdächtig still da, dass Daphne für einige Schrecksekunden glaubte, sie sei tot. Bis sie das Zittern bemerkte. Die Frau zitterte am ganzen Körper, ein stetiges, beunruhigendes Beben. Ihre Augen rollten unter den geschlossenen Lidern und manchmal zuckte sie zusammen.
Die Gesichtszüge kamen ihr trotz der Verbrennungen irgendwie bekannt vor.
„Niamh Seeberg? Ihr habt Niamh Seeberg mitgebracht?“
„Dwight hat sie mitgebracht“, korrigierte Reagan sie und ein Seitenblick in seine finstere Miene zeigte ihr, dass er mit der Anwesenheit der Genus Solem -Anhängerin überhaupt nicht einverstanden war.
„Aber warum?“, wisperte sie, während sie in einer ständig wechselnden Mischung aus erschrockener Faszination und Mitleid beobachtete, wie Ria mit ruhigen, besonnenen Bewegungen die Verletzungen der Frauversorgte. Sie wusch mit warmem Wasser das Blut von ihrer Haut, trug eine nach exotischen Kräutern
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