Schattenwende
Gefahr, dass das Haus von irgendwelchen verstreuten Solems entdeckt wurde, war umso größer, wenn sie nicht da waren um es zu schützen. Ein guter Bekannter von Damir hatte sich bereit erklärt, ihnen das gewaltige Herrenhaus für einen Freundschaftspreis abzukaufen und von dort aus ein Auge auf die Stadt zu haben, für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Widerstand der fanatischen Menschen in ihrer Abwesenheit noch einmal aufglimmen sollte.
Der Vampir verzog das Gesicht zu einer unheimlichen Grimasse. So oder so. Niamh würde ihn nach London begleiten, bis ihm etwas Geeignetes eingefallen war, wie man mit ihr verfahren sollte.
Der weiche Untergrund passte nicht in ihre Vorstellung der Hölle. Die brennenden Schmerzen in ihrem Körper hingegen schon. Sie versuchte, das lodernde Feuer, dass in und auf ihrem Körper brannte, zu ignorieren, und sich stattdessen mit dem Rätsel zu beschäftigen, warum ein flauschiges Kissen ihren Rücken stützte. Eine leichte, wollene Decke lag über ihr und half gegen die Kälte, die sie so lange in ihren Fängen gehalten hatte. Wenn sie sich nicht irrte und den Geräuschen Glauben schenken konnte, prasselte ganz in der Nähe sogar ein Kaminfeuer.
Feuer.
Der Geruch von verbranntem Holz, in den sich das seltsame Aroma von Tannennadelnextrakt mischte. Er erinnerte sie an die Explosion, an die plötzliche, unerwartete Explosion, die das riesige Gebäude so zerrissen hatte, als sei ein Tornado mitten hindurchgefegt, und all jene in einem Flammeninferno einschloss, die nicht das Glück gehabt hatten, von umherfliegenden Steinen erschlagen worden zu sein.
Sie hatte die heranziehende Hitze gespürt, wie schnappende, geifernde Raubtierzähne, die sich in ihre Haut graben und sie entzweireißen wollten. Der Rauch war in ihre Kehle gestiegen, hatte ihr Tränen in die Augen getrieben und ihr die Luft zum Atmen genommen.
Sie hustete, wobei ihr ganzer Körper bedrohlich wackelte und eine Qual in ihr entfachte, die sie aufstöhnen ließ. Sie bemerkte einen zierlichen Arm, der sich hinter ihrem Rücken am Kissen vorbeischlängelte und ihren Oberkörper aufrichtete. Kaltes Porzellan berührte ihre Lippen. Die milde Frische von Pfefferminz verströmte ihren Duft. Zögernd ließ sie sich die Lippen befeuchten und nach und nach ein paar Schlucke einflößen, ehe sie erschöpft in das Kissen zurücksank.
„Niamh?“ Eine sanfte Stimme, ganz lieblich und einnehmend, brachte sie dazu, mit den Augen zu blinzeln.
„Niamh, kannst du mich hören?“
Sie versuchte, die Lippen zu schürzen, um irgendein Wort, irgendeinen Laut herauszubringen. Doch ihr Hals war wund und trocken und kratzte, so gab sie ihre Bemühung auf und öffnete die Augen, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, die Hölle nicht zu betrachten.
Der Raum war abgedunkelt. Bis auf einige Kerzen und den Kamin neben ihr gab es keine Lichtquelle. Trotzdem brauchte sie einige Sekunden, bis ihre Pupillen sich an das Licht gewöhnt hatten, und sie mehr als nur vage Umrisse erahnen konnte.
Neben ihr saß eine Frau, die sie freundlich anlächelte. Für Niamh wirkte sie wie eine Märchenfigur. Feenhaft. Klein, zierlich und mit langen schwarzen Haaren, die ihr fließend über die rechte Schulter fielen.
„Wer … wer bist du?“, krächzte sie mühsam, was ein langgezogenes, heiseres Husten verursachte.
Die Frau wartete geduldig, bis der Hustenanfall vorüber war, ehe sie sich vorbeugte und ihre schweißbedeckte Stirn mit einem kühlen Tuch abtupfte.
„Fragt man nicht für gewöhnlich Wo bin ich? “, erkundigte die Fremde sich amüsiert.
„Das wäre meine zweite Frage gewesen, fürchte ich.“ Niamh schloss die Augen, denn es war einfach zu anstrengend, sie so lange offenzuhalten. Und nun, da sie ihre Umgebung gesehen hatte …
„Dann werde ich dir beide beantworten, damit du gleich wieder in Ruhe schlafen kannst. Mein Name ist Daphne. Daphne Weston, falls du es ganz genau wissen willst. Du befindest dich hier an einem sicheren Ort. Dir wird nichts mehr geschehen.“
Das wohltuende Tuch senkte sich wieder auf ihre Stirn und verweilte dort, verbreitete seine angenehme Kühle.
„Wer hat mich … hierher gebracht?“, hustete Niamh und krallte ihre Finger vor Anspannung in die Wolldecke.
„Das war die Gemeinschaft, Niamh. Du weißt schon. Vampire. Gut gesinnte Vampire.“
Niamh zuckte angesichts der schonungslosen Offenheit der Frau zusammen. Sie konnte nicht einmal das Wort hören, ohne dass dieser alles verschlingende Hass in
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