Schattenwende
auf die Straße gekullert waren. In ihm tobte ein Sturm, er wollte sofort eine Frau haben, sie sich unterwerfen und zu eigen machen, um das Bild dieser elenden Verräterin aus seinem schmerzenden Kopf zu bekommen.
Er hatte seine Hand in ihr volles Haar schnellen lassen und ihren Kopf zurückgezogen, bis sie aufgeschrien und ihm unter Zwang ihren bloßen Hals dargeboten hatte, in den er seine Zähne schlagen konnte. Das beständige Saugen, der vertraute Geschmack an seinem Gaumen und das lebendige Pulsieren ihres Blutes hatten seinen aufgewühlten, zerrissenen Geist ein wenig beruhigt. Er hatte seine Hand über den attraktiven Körper der Brünetten wandern lassen, hinunter bis zwischen ihre Schenkel. Er hatte seine Jeans aufgeknöpft und seinen Daumen in den Saum ihres billigen Strings gesteckt. Doch als er weiter vordrang, war die Beule in seiner Hose plötzlich verschwunden.
Das Blut dieser Frau, die für ihn so gesichtslos und unscheinbar wie alle anderen war, hatte ihn plötzlich angewidert. Er hatte sie fallen lassen, als hätte er sich verbrannt.
Ihr Blut hatte umso viel verlockender gerochen, hatte ihm den Weg durch die Flammen direkt zu ihr gewiesen. Er hatte nur sehen wollen, wie sie starb. Das hatte er sich eingeredet. Und dann hatte er sich plötzlich eingeredet, es sei seine Pflicht, sie mitzunehmen, sie zu retten, als er ihre Augen gesehen hatte, mit dem winzigen Lichtblitz in ihrer Iris. Dem bunt flackernden Lichtblitz.
Er konnte es nicht, diese andere Frau widerte ihn an. Er konnte sich kaum dazu überwinden, einen Teil seiner Energie auf sie zu übertragen, um ihre Wunde zu schließen. Und auch kaum dazu, sich nach Hause zu flüchten.
Dwight hatte das Wohnzimmer bewusst gemieden und sein Zimmer über eine eher unkonventionelle Art erreicht. Er war an der Hauswandhochgesprungen, mit solch einem mächtigen Satz, dass er direkt auf seiner Fensterbank gelandet war.
Aber dennoch war seine Unruhe sofort zurückgekehrt.
Der dünne, metallische Duftfaden, der von Niamhs Verletzungen ausgehend durch das ganze Haus in seine empfindsame Nase stieg, machte es nicht besser.
„Das wäre die gerechte Strafe für sie“, dachte er grimmig. „Ich sollte hinuntergehen und sie aussaugen.“
So sehr er sich auch den Kopf zerbrach, er verstand diese Frau nicht. Er verstand nicht, wie sie für dieses Menschenpack hatte arbeiten können, wie sie gar deren Ansichten teilen konnte.
Niamh besaß das Symbol der Liya. Sie, als Eingeweihte, als Mitarbeiter des engeren Kreises der Solems, sie musste doch gewusst haben, was es bedeutete.
Er hatte es verabscheut und sich selbst dafür gehasst, doch er hatte es gewagt, in ihren Geist einzudringen und ihre Erinnerungen zu durchkämmen. Dabei hatte er ihr Schmerzen zugefügt, denn trotz ihrer Ohnmacht hatte sie gewimmert und sich hin- und hergeworfen.
Und er hatte alles gesehen.
Sie, als Kind, klein und verängstigt, wie sie den Tod ihrer Mutter hautnah miterlebte. Wie sie später von einer fremden Frau angesprochen und aus dem Heim geholt wurde. Wie man ihr erklärte, was an jenem schicksalhaften Abend geschehen war. Dass Vampire ihre Mutter getötet hätten, fürchterliche, von Grund auf böse und widerwärtige Wesen. Dass man gut auf sie aufpassen würde, um sie davor zu beschützen, dass sie zurückkehren und auch sie töten würden. Man hatte sie die folgenden Jahre manipuliert, ihr Lügen eingeflüstert, bis sie ihnen alles glaubte, hatte sie doch mit eigenen Augen gesehen, dass diese Menschen, die ihr ein Zuhause gaben, Recht hatten.
Oh, sie hatten das alles perfekt eingefädelt. Ein perverses Spiel. Sie hatten in der Kleinen eine Liyanerin entdeckt. Und um zu verhindern, dass sie ihr wahres Schicksal erfüllen konnte, hatten sie sie kurzerhand durch eine listig inszenierte Intrige in ihren Bann, in ihre abscheuliche Welt gezogen. Vermutlich hatten sie sie zu Forschungszwecken benutzt, das war nicht auszuschließen.
Dwight wusste, dass dies die Erklärung für Niamhs Verhalten war.
Es war eine Erklärung. Aber keine Entschuldigung. Er bedachte die Fernbedienung, deren Überreste auf seinem Teppich lagen, mit einem derart genervten Blick, als seien sie an seinem Unglück höchstpersönlich Schuld. In wenigen Tagen schon, wenn Reagan mit Darragh alles Nötige geklärt hatte, würden sie ein Flugzeug organisieren und nach London abreisen. Damir hatte den Verkauf des Hauses in die Wege geleitet. Zuerst hatten sie in Erwägung gezogen, es zu behalten, doch die
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