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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
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ignorieren?
    Aufgewühlt verließ ich mein Zimmer, weil meine Beine rennen wollten. Aber für meine Burgtour mit Gabriel war ich noch viel zu früh in der Halle. Spontan beschloss ich, dem Fresko einen weiteren späten Besuch abzustatten. Der Gedanke an die versteckten Hinweise würde mich vielleicht noch einmal ablenken. Und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr glaubte ich daran, dass der Maler und mindestens ein Restaurator ihre Zeichen hinterlassen hatten. Aber warum? Warum sollten die beiden ein Spiel spielen, das über Jahrhunderte Bestand hatte und auch noch ständig erweitert wurde? Sah das Spiel vor, dass ich auch einen Hinweis hinterließ? Dann musste ich das Rätsel zunächst entschlüsseln. Oder war es nur eine Anhäufung von Zufällen und Gedankenlosigkeiten, die rein gar nichts besagten?
    Nachdenklich ging ich den Gang entlang. Ich musstekein Licht machen, eine brennende Fackel hing in ihrer Halterung. Und ich hörte Stimmen. Meine Hoffnung, dass sie aus dem Labor kamen, wurde schnell zunichtegemacht – sie kamen aus dem Verlies. Zuerst hörte ich Cyriel und erstaunlicherweise freute ich mich auf einen erneuten Schlagabtausch. Doch dann erkannte ich die zweite Stimme. Es war Anna. Ein guter Grund, sich möglichst leise der Tür zu nähern.
    Einen kurzen Blick riskierte ich: Cyriel und Anna standen mit dem Rücken zu mir vor dem Fresko. Als er mit den Armen ausholte, um seine Erklärungen mit engagierten Gesten zu unterstreichen, zog ich mich hinter die Tür zurück und lauschte.
    »Ein Fresko besteht aus mehreren Schichten Kalkmörtel oder Putz, die für die Arbeit noch frisch sein müssen, daher das Wort ›fresco‹. Die oberste Schicht ist der ›intonaco‹, die Malschicht, aber man bereitet nur so viel vor, wie man an einem Tag schafft.«
    »Für einen Chemiker weißt du aber viel über Fresken«, stellte Anna fest und ich musste ihr beipflichten.
    »Die Malerei hat mich schon immer gefesselt«, gestand Cyriel ernst. »Wenn unsere Fantasie das Sprechen lernen würde, wären es keine Worte, die herauskämen. Sondern Bilder.«
    Wie gefühlvoll! Aber warum ging er ausgerechnet bei Anna so aus sich heraus?
    »Wenn deine wahre Leidenschaft die Malerei ist – warum versteckst du dich dann so oft und so lange in deinem Arbeitszimmer? Hast du wirklich so viel zu tun? Oder hast du Angst vor mir?«
    Vor meinem inneren Auge konnte ich den tiefen Blicksehen, den Anna und Cyriel gerade tauschten, und ich spürte die Luft zwischen den beiden knistern. Sollte ich jetzt hineinplatzen und »Oh, tut mir leid!« ausrufen? Doch meine Neugier sagte mir, dass ich es laufen lassen musste – wohin auch immer.
    »Ich habe keine Angst vor dir«, erwiderte Cyriel nach einigem Zögern. Immerhin! Sein Ton war längst nicht mehr so … intim.
    »Wenn ich arbeite, vergesse ich alles andere, und ich arbeite gern. Die Chemie ist anders als die Malerei, aber auch voller Geheimnisse. Sie verlangt vollen Einsatz, viel Suchen und Forschen. Aber es ist wie ein Rausch, wenn man plötzlich vor der Lösung steht – die schon immer da gewesen ist. Manchmal ist man nur zu blind, um in die richtige Richtung zu sehen.«
    »Vielleicht«, flüsterte Anna, »siehst du auch jetzt in die falsche Richtung.«
    Die anschließende Stille machte mich verrückt. Verdammt, was passierte da? Ich spickte um die Ecke. Cyriel sortierte wieder einmal mit akkurater Genauigkeit die Malwerkzeuge.
    »Du glaubst, das Leben ist ein Spiel.«
    Nun klang er wieder wie der launische Gutsherr, den ich kannte! Finger weg von mir, ich beiße! Erleichtert lehnte ich mich an die Wand.
    »Aber kennst du auch immer deinen Einsatz?«, fuhr er leiser fort. »Was ist mit deiner Begeisterung für die Kunst? Warum nimmst du einen Auftrag wie diesen hier an?«
    Anna schien etwas aus dem Konzept gebracht. »Warum nicht? Wäre es dir lieber, ich wäre nicht dabei? Möchtest du … mit Kira allein sein?«
    O ja, ich hörte den betörenden, provozierenden Unterton durchaus heraus. Aber Cyriel überraschte mich, indem er ihr nicht auf den Leim ging. Erstaunlich souverän – für einen Mann in Annas Händen!
    »Kira braucht das Geld, das weiß ich inzwischen. Aber was ist mit dir? Weißt du, was ich tun würde, wenn ich vom Leben so begünstigt wäre wie du? Wenn ich das studieren könnte, was ich mir immer schon gewünscht habe?«
    Anna schnaubte – ein absolut untypisches, unweibliches Schnauben.
    »Meine Eltern sind … ganz anders, als ich erzählt habe. Weißt du, wie

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