Schattenwesen
eine Mischung aus süß und hundsgemein. »Wenn Cyriel in mein Zimmer kommt – wen interessiert denn da noch der Fernseher?« Sie zwinkerte mir zu und schob mich weiter.
Auf dem Weg nach oben verging mir der Hunger. Ich konnte nicht anders, als mir in den schillerndsten Farben vorzustellen, was zwischen den beiden vorgefallen war. Und ich hatte geglaubt, er mochte mich! Ich naive Nuss! Wenn es um Männer ging, war ich wohl der Amateur – und Anna der Profi.
Nach dem Essen, das wir beide schweigend einnahmen, gingen wir auf unsere Zimmer. Auf der Treppe nach oben zückte ich aus einer Laune heraus meine Digitalkamera und fotografierte von oben die Eingangshalle. Es war, als böte ich Cyriel die Stirn. Als könnte ich ihm so meine Wut entgegenschleudern. Okay, meine Rebellion war winzig und nur durch ein kaum hörbares Klicken wahrnehmbar. Aber ganz spontan fühlte ich mich besser. Im ersten Stock drückte ich wieder auf den Auslöser. Ein Foto einer Galerie mit einer Truhe und drei Türen. Im zweiten Stock blieb Anna vor ihrem Zimmer stehen und wandte sich um.
»Damit riskierst du einen Riesenärger und ich brauche diesen Auftrag«, sagte sie leise. »Lass das mit den Fotos oder ich muss es Herrn Nachtmann sagen.«
Erstaunt sah ich sie an. »Seit wann siehst du, was ich tue? Ich dachte, ich wäre Luft für dich.«
Anna legte die Hand auf die Klinke. »Ich hab hier schon einiges gesehen und gehört, was mich nichts angeht. Aber es geht um fünfundzwanzigtausend Euro. Vergisst du das nicht manchmal?«
Damit verschwand sie in ihrem Zimmer und ließ mich mit meinen Fragen zurück: warum sie das Geld brauchte und was sie wohl gesehen oder gehört hatte.
In meinem Zimmer hob ich die Kamera,fotografierte aus Protest, nun gegen Anna. Das Zimmer, den Blick aus dem Fenster, das Burggelände, meine Klamotten im Schrank und das Bild an der Wand. Und ich würde weitere Fotos machen. Solange ich Lust hatte.
Doch dann stellte ich meine Tasche ab und spürte, wie das Gewicht von meinen Schultern abfiel. Nicht allein das Gewicht der Notizbücher, sondern eines, das ich innerlich mit mir herumtrug und das mich heute den ganzen Tag runtergezogen hatte. Wie schwer konnte Papier sein, das ich nicht einmal gelesen hatte?
Ich versuchte einen Umweg, ging wieder ans Fenster, ging wieder zum Fernseher, aber nichts davon berührte ich. Weil es mich nicht berührte. Ich musste es tun. Also nahm ich das letzte Buch in die Hand und las.
Kira
Die Handschrift war selbst für mich schwer zu lesen, und die Kälte in meinem Nacken sagte mir, dass dies die Worte eines Fremden sein sollten – aber das waren sie nicht. Sie waren ein Hilferuf und das tat weh.
Das Werk ist vollbracht, der Teufel lacht. Ich weiß nicht, ob ich meinen Sinnen trauen kann, sie sind völlig außer Kontrolle. Wenn ich mein wunderbares Schwarz auf die Leinwand auftrage, huscht etwas an mir vorbei. Hinein und heraus. Als wäre es die Seele des Schwarz, die nicht in der Farbe bleiben will! Ich muss alles vernichten. Alles, was auf diese unsägliche Erfindung hindeutet!
Weiter hinten konnte ich die Schrift wirklich kaum noch lesen. Aber der letzte Absatz war wieder klar. Die letzten Worte meines Vaters:
Heute war es wieder da! Es ist nur eins, das sich aber in viele zerteilen kann. Es kann überall sein, sich überall verstecken und auf mich lauern. Wird es merken, was ich vorhabe? Wichtig ist, dass niemand findet, was ich fand. Kira, wenn du das jemals liest: Vernichte es, ich konnte es nicht. Es ist dort versteckt, wo ich es sicher glaubte. Aber nichts ist sicher. Folge deiner Neugier und mit deinen Freunden wirst du den Schatz finden!
Mein Vater hatte mir eine Nachricht hinterlassen. Eine wirre, vom Wahnsinn geprägte Nachricht, die mir überhaupt nichts sagte. Was sollte ich vernichten? Seine schwarzen Bilder, die ich nun doch aufgehoben hatte? Aber die waren nie versteckt gewesen, er hatte sie achtlos zur Seite gestellt. Die Notizbücher? Nun, niemand würde daraus viel herauslesen können. Oder? Ob ein Chemiker etwas damit anfangen könnte? Vielleicht sollte ich sie Herrn Nachtmann zeigen? Aber wollte ich überhaupt vernichten, was Vater anscheinend gefunden hatte? Wollte ich vielleicht doch nach dem Geheimnis suchen und es veröffentlichen? Ich meine, die Ängste meines Vaters kurz vor seinem Tod waren ja mit Sicherheit nicht real gewesen. Die Bedrohung war sicher nicht real gewesen. Aber konnte ich seinen letzten Wunsch guten Gewissens
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