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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
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stand ich vor der Staffelei, die mit einem Tuch abgedeckt war. Vor wem versteckte Cyriel sein Werk, wenn dies sein Geheimlabor war? Neugierig zog ich an dem Tuch und betrachtete die Leinwand. Es war ein Bild von mir. Ein anderes. Nicht das mit den algengrünen Haaren und den lila Lippen. Diesmal war mein Haar braun und meine Lippen waren orange. Die Haut schimmerte grünlich und die grauen Augen hatten einen metallischen Glanz – wie die einer Außerirdischen. Es war nicht besser getroffen als das letzte Bild, nur anders. Wie das Werk eines Irren. War Cyriel farbenblind?
    Als ich mit dem Finger die Linien nachfuhr, wurde mir die Antwort schlagartig klar. Ja, natürlich! Woher sollten Schattenwesen Farben kennen? Cyriel war mit ziemlicher Sicherheit farbenblind. Ein Maler in einer schwarz-weißen Welt. Nur Kontraste. Keine Farbe. Wie sehr musste er darunter leiden!
    Erst jetzt achtete ich auf das, was ich gelernt hatte: die Pinselführung und die Struktur des Bildes. Man musste schon sehr konzentriert an den Farbsünden vorbeisehen, um den Ausdruck des Gefühls dahinter zu erkennen. Als mir das endlich gelang, erschlug mich das Bild beinahe. Meine Gesichtsform war gut getroffen, der Mund wirkte verletzlich, während die Augen Temperament und Tiefe vermittelten. Wenn man die Farben ausblendete, war dieses Porträt ein großes Kompliment. Oder war es … mehr?
    Mein Nacken kribbelte bei der Erinnerung an Cyriels funkelnde Blicke in den letzten Tagen – und bei derErinnerung an die Berührung seiner Hand vorhin auf meiner Schulter. Hatte ich ihn so falsch verstanden? War er wirklich immer nur wütend auf mich gewesen, weil ich ihn ständig vor den Kopf gestoßen hatte? Und war seine abweisende Art sein Versuch gewesen, mich aus dem Haus zu treiben, in Sicherheit?
    Stöhnend sank ich auf einen Hocker und fasste mir an die Stirn. Ich Blindschleiche! Warum hätte er nachts in mein Zimmer kommen sollen, um mich zu warnen? Eine Warnung, die ich in den Wind geschlagen hatte! Noch einmal starrte ich auf die Staffelei. Konnte es wirklich sein, dass er etwas für mich empfand? Und wenn ja – was? Mitleid mit einem naiven Mädchen. Oder …? Ich schlug mir mit der Faust gegen die Stirn.
    Hey, der Mann ist zu alt für dich! Mindestens vierhundert Jahre!
    Aber das Kribbeln ließ sich nicht mehr abstellen, und als Cyriel nicht wieder auftauchte, wurde es noch schlimmer. Zwei Stunden hatte er gesagt.
    Meine Uhr tickte unbarmherzig langsam vor sich hin. Nach eineinhalb Stunden verlor ich die Geduld. Wie lange konnte es dauern, in den Schattenraum und zurück zu gehen? Meine Finger begannen an meiner Kleidung, meinen Haaren und in meinem Gesicht herumzuzupfen – dann war ich die Warterei und die Unruhe leid! Ich sprang auf und zog an dem kleinen Haken, den Cyriel benutzt hatte, die Geheimtür nach innen. Meine Taschenlampe hatte ich immer noch bei mir, sie war weniger verräterisch als eine stinkende Fackel. Also los!
    Auf dem Weg zum Schattenraum musste ich mich zweimal hinter einer Säule verstecken, weil einmal zweiMänner, ein anderes Mal Lara und eine Frau an mir vorbeigingen. Das Risiko, von einem von ihnen – absichtlich oder unabsichtlich – verraten zu werden, war mir zu groß.
    Als ich schließlich den Gang zum Schattenraum erreicht hatte, schaltete ich die Taschenlampe aus und tappte so leise wie möglich vorwärts. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: Ob die Schatten mich auch im Dunkeln sehen konnten? Instinktiv drückte ich mich hinter einen Mauervorsprung und lauschte – obwohl ich ihre Schritte ja wohl kaum hören würde. Und wie wollte ich Cyriel überhaupt erkennen? Mein Eindruck, dass etwas schiefgegangen war, verstärkte sich.
    Inzwischen war ich recht nah an der Stelle, wo ich mit Jessy gewesen war. Völlig unerwartet musste ich an ihre Frage denken, ob ich etwas spüre, denn ein seltsames Prickeln, ein unverständlich positives Gefühl schlich sich in meine Ängste. Aber ich durfte mich nicht ablenken lassen und ich versuchte es zu ignorieren.
    Auf einmal konnte ich leise Stimmen hören. Ob das Jessys Leute waren? Aber dann hätten sie Licht dabeigehabt. Menschen liefen nicht durchs Dunkle. Die Stimmen wurden deutlicher. Jemand kam aus dem Schattenraum heraus!
    »Wirklich schade um dich«, sagte eine tiefe, dröhnende Stimme.
    Das war Herr Nachtmann!
    »Und sehr ärgerlich für mich! Ich werde mir in der Stadt einen neuen Assistenten suchen müssen.« Sein Lachen klang rau, als die Tür zufiel.
    Die darauf

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