Schatzfinder
das auf Kosten jener Zeit, die sie eigentlich damit verbringen könnten, ihre Stärken zu stärken –, fördert den Durchschnitt und macht damit Starke nicht stärker, sondern durchschnittlicher. Unser Schulsystem meint, dass es gut ist, wenn wir alle das Gleiche können. Universitäten suchen ihre Schüler danach aus, wie gut ihr Notendurchschnitt in der Schule war. Dabei spielt der Notendurchschnitt doch gar keine Rolle für bestimmte Befähigungen. Wer Arzt werden will, kann möglicherweise in manchen Dingen sogar schlecht und dafür in anderen gut sein. Muss ein hervorragender Gehirnchirurg wirklich in der Lage sein, gute Erdkundeaufsätze zu schreiben, und die römische Geschichte auswendig gelernt haben?
»Schenken Sie Ihren Kindern schlaue Eltern« ist der Werbespot der
Süddeutschen Zeitung
. Schon einige Jahre vor PISA hat eineHamburger Studie gezeigt, dass man den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen in deutschen Schulen geradewegs anhand der Zahl der Bücher vorhersagen kann, die im Elternhaus stehen: Wo es viele Bücher gibt, da werden aus den Kindern erfolgreiche Abiturienten; wo das Lesen keine oder nur eine geringe Rolle spielt, da reicht es oft nicht einmal zum Hauptschulabschluss. Ein ganz anderer Ansatz.
Universitäten haben von ihrer Grundstruktur her das Ziel, möglichst viele Studenten möglichst schnell, möglichst kostengünstig und unter möglichst geringen Verlusten, also mit möglichst niedriger Dropout-Quote, möglichst durchschnittlich auszubilden. Das ist die Bildungspolitik, die wir haben. Ein weiteres Ziel dieser Politik ist es, auch bildungsferne Schichten zur Bildung zu bringen, um den Durchschnitt zu heben. Das ist wunderbar. Aber gleichzeitig steht keineswegs im Fokus, bildungsnahe Schichten so zu fördern, dass unsere Top-Talente, schrägen Vögel und Ausnahmekönner lernen, Außergewöhnliches zu bewegen. Das soll anscheinend irgendwie von selbst passieren. Oder soll es das lieber gar nicht?
Der Durchschnitt ist hilflos, und der Durchschnitt wird niemals besondere Leistungen bringen.
Der Durchschnitt ist hilflos, und der Durchschnitt wird niemals besondere Leistungen bringen. Der Durchschnitt erbringt keine wissenschaftliche Spitzenleistung, die wir für eine erfolgreiche Zukunft so bitter nötig haben werden. Der Durchschnitt erbringt keine sportlichen Spitzenleistungen, keine künstlerischen Ausnahmeleistungen und natürlich auch keine Innovationen, egal in welchem Bereich. Der Durchschnitt ist oft geradezu sinnlos und gefährlich. Anders sein ist besser. Es geht manchmal sogar gar nicht nur darum, besser zu sein, es geht nicht um Elitenbildung, sondern darum, eben auch mal komplett anders sein zu dürfen, ohne dann sofort durch alle Bildungsraster zu fallen. Mit dem Durchschnittsdogma setzen wir auch unsere Individualität und Diversität aufs Spiel. Und das ist wirklich, wirklich schlimm!
Wenn die anderen aus dem Fenster springen, springen Sie dann auch aus dem Fenster? Das sollten Sie nicht tun. Aber wenn es um die Durchschnittsbildung geht, wird genau das von uns gefordert: Die Bildung des Durchschnitts ist ein Sprung aus dem Fenster. Und wir sollen bitteschön alle hinterherspringen!
Die Sehnsucht, sich hinter einer Gruppe Gleichgesinnter zu verstecken, war wohl noch nie so groß wie heute. Wir – die Briefmarkensammler, die Gartenzwergsammler, die Linken, die Rechten, die Katholiken, die Protestanten, die Studenten, die Arbeitnehmer, die Zinnsoldatensammler, die Weißwurstesser – wir versammeln uns und beschließen, was für uns gut ist. In Wirklichkeit sollten wir alles daransetzen, eine Ansammlung von völlig unterschiedlichen Menschen zu werden, mit dem höchstmöglichen Grad an Individualität. Das würde unsere Gesellschaft reich machen! Rotary und all die anderen Service-Clubs leben Diversity zumindest in einem gewissen Rahmen.
Dass wir alle schön beieinander bleiben und das Rad nicht jedes Mal neu erfinden, sondern sicherer ans Ziel kommen, weil wir auf bestehende Muster zurückgreifen, dafür sorgen in unserer Gesellschaft die Institutionen. Uns systematisch das Schubladendenken einzubimsen, von dem Beamte, Akademiker und Berufspolitiker glauben, dass wir es brauchen, um nützliche Arbeitsplatzbesitzer und Krankenkassenbeitragszahler zu werden, ist eine der Hauptaufgaben der Schule, der ersten großen öffentlichen Institution in unserem Leben.
Vielleicht erinnern Sie sich: Sie sitzen im Matheunterricht, und der Lehrer stellt eine Frage. Sie
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