Schatzfinder
herauskristallisieren würden: strenge und nachsichtige Eltern, solche, die sich in alles einmischen, andere, die ihren Kindern viele Freiräume lassen, und so weiter. Lareau fand jedoch etwas ganz anderes heraus: Esgibt nur zwei Erziehungsphilosophien. Und die lassen sich ganz eindeutig nach Klassenzugehörigkeit unterscheiden. Eltern der Ober- und Mittelschicht sind bei der Freizeitgestaltung ihrer Kinder stark involviert. Sie fahren sie von einem Termin zum nächsten, fragen sie nach Lehrern, Trainern und Mitschülern aus und versuchen, positiven Einfluss auf die Gestaltung des Lebens zu übernehmen. Die Kinder aus den Familien der Unterschicht kannten diese intensive Terminplanung nicht. Sie waren mehr sich selbst überlassen.
Das mit der Planung und Begleitung wollte ich dann auch übernehmen. Irgendwann kam der Entschluss, dass unsere zweijährige Tochter in diverse Kindergruppen zum Basteln, Singen, Tanzen und derlei Beschäftigungen gehen soll. So kam sie auch ins Sagadula-Land in meinem Wohnort Zürich. Ich war natürlich sehr neugierig, als ich erfuhr, dass ich mitgehen kann. Ich dachte nach der Beschreibung dieses fantastischen Fantasielands, dass das die ganz große Nummer ist, mit größtem Spaßfaktor, ein kindgerechtes Paradies. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte die möglicherweise unberechtigte Vorstellung, dass die Zeit dort für meine Tochter eine geniale Partyzeit sein müsste. Immerhin waren pro Singstunde, die nur 45 Minuten lang war, zwölf Kinder anwesend, deren Eltern dafür alle einen Preis von umgerechnet
33 Euro zahlten. Also lagen immerhin circa 400 Euro im Topf. Da kann man ja was anstellen!, dachte ich.
Also war ich darauf gefasst, dass wir herzlich und mit Begeisterung, mit »Give-me-five« und allem drum und dran begrüßt werden und meine Tochter wie auch all die anderen Kinder gleich als Star der Stunde gefeiert werden, um dann so viel Spaß zu haben, dass diese Knirpse mit Tränen in den Augen und lautem Geschrei nur unter größtem Widerstand dazu gebracht werden müssen, die Stunde am Ende zu verlassen, weil es das Größte, Beste und Tollste war, was sie je erlebt haben.
Statt eine Party zu feiern, haben wir an einem Versteifungsprozess teilgenommen.
Natürlich kam es ganz anders: Statt eine Party zu feiern, haben wir an einemVersteifungsprozess teilgenommen. Die Kinder kamen in ein liebloses altes Zimmer oberhalb der Feuerwehrhalle. Ein lieblos hingeschmiertes Schild »Schuhe bitte reinigen« war die Begrüßung. Dass auf Sauberkeit Wert gelegt wird und die Schuhe sauber sein sollen, kann ich verstehen. Nur warum Schuhe reinigen, wenn das ganze Haus ein einziges Loch war? Aber das wäre ja noch nicht mal der Punkt gewesen. Die Kinder kamen rein, zogen sich in einem Raum um, und so standen plötzlich zwölf Kinder mit Müttern und einem Vater schweigend im Kreis. Weder die Kinder noch die Mütter zeigten untereinander irgendeine Herzlichkeit, irgendeine Art von »Schön, dass wir jetzt gemeinsam hier sind«. Wie auch, wenn die Vorbilder es schon nicht tun? Und so kniete man regelbewusst, angestrengt und unkommunikativ im Kreis, eine alternde Dame hing Plakate mit Kinderliedern an die Wand, die wir dann nacheinander im wahrsten Sinne des Wortes »abgesungen« haben. Der Höhepunkt lag darin, dass wir bei dem Lied »Backe, backe Kuchen« tatsächlich eine Kochmütze aufziehen durften sowie einen Rührbesen bekamen und nach 30 Minuten eine Rutsche und drei Plastikteile als Kletterparcours aufgebaut wurden.
Selten habe ich mehr Einsamkeit in einer Gemeinschaft erlebt als in diesen 45 Minuten, und selten habe ich mehr Freudlosigkeit erlebt als in diesen 45 Minuten. Wenn wir zu Hause Musik machen, dann tanzen wir wie die Verrückten, spielen rum, machen Faxen, schreien. Wir haben sogar ein Spiel, das »Schreien« heißt und bei dem wir lauthals schreiend im Wohnzimmer rumlaufen. Die einzige Sorge, die wir haben, ist, dass unser Nachbar den Lärm nicht erträgt. Das mit den Nachbarn war hier kein Problem, denn es gab keinen Lärm. Stellen Sie sich das mal vor: zwölf Kinder in einem Raum und kein Lärm. Das ist doch krank!
Hätte man nicht wenigstens ein Kasperletheater, einen toten Frosch, einen Zaubertrick, Kostüme oder ein paar Knallfrösche oder ich weiß nicht was machen können, um Kindern den Zauber der Kindheit zu zeigen?
Ich Trottel war alles andere als ein gutes Vorbild für meine Tochter und habe mich zuerst einfach angepasst, so wie alle. Ich habe regelbewusst,
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