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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Ich muß um halb zehn im Gerichtssaal sein.«
    Er sah auf seine Uhr. Eine Rolex. Aus Gold. Sie hatte läuten hören, daß er vor kurzem Geld geheiratet hatte. »Da hast du noch massenhaft Zeit.«
    »Die Zeit brauch ich, um Ordnung in meine Gedanken zu bringen.«
    »Oh, ich wette, die sind schon längst in Ordnung«, entgegnete er und richtete sich auf, aber nur, um sich seitlich an ihren Schreibtisch
zu lehnen und ganz offen sein Spiegelbild im Glas des Fensters hinter ihr zu prüfen, während er mit der Hand flüchtig über einen Stapel säuberlich geordneter Papiere strich. »Ich bin überzeugt, daß es in deinem Kopf genauso ordentlich zugeht wie auf deinem Schreibtisch.«
    Er lachte, und dabei verzog sich der eine Winkel seines Mundes leicht nach unten. Jess fiel sofort wieder der Fremde mit dem unangenehmen Lächeln ein.
    »Schau dich doch an«, sagte Greg, der ihre Reaktion falsch verstand. »Du bist total nervös und angespannt, nur weil ich versehentlich ein paar von deinen Papieren verschoben habe.« Er rückte sie demonstrativ wieder zurecht und wischte dann ein imaginäres Stäubchen von ihrer Schreibtischplatte. »Du magst es gar nicht, wenn jemand deine Sachen anrührt, nicht?«
    Mit den Fingern strich er in kleinen Kreisen wie liebkosend über das Holz der Schreibtischplatte. Die Bewegung hatte eine beinahe hypnotische Wirkung. Ein Schlangenbeschwörer, dachte Jess, und fragte sich flüchtig, ob er der Beschwörer war oder die Schlange.
    Sie lächelte, höchst verwundert über die seltsamen Gedanken, die ihr an diesem Morgen durch den Kopf gingen, und stand auf. Zielstrebig ging sie zu den Bücherregalen, obwohl sie in Wirklichkeit dort gar nichts zu tun hatte.
    »Ich glaube, du gehst jetzt besser, damit ich hier noch etwas geschafft bekomme. Ich muß heute morgen mein Schlußplädoyer im Fall Erica Barnowski halten und -«
    »Erica Barnowski?« Er mußte einen Moment überlegen. »Ach so, ja. Das Mädchen, das behauptet, es sei vergewaltigt worden...«
    »Die Frau, die vergewaltigt wurde« , korrigierte Jess.
    Sein Lachen füllte den Raum zwischen ihnen. »Du lieber Himmel, Jess, die hat doch nicht mal einen Schlüpfer angehabt! Glaubst du etwa, daß irgendein Gericht im ganzen Land einen Mann wegen Vergewaltigung verurteilen wird, weil er es mit einer Frau getrieben
hat, die er in einer Kneipe aufgegabelt hatte und die nicht mal einen Schlüpfer anhatte?« Greg Oliver verdrehte kurz die Augen zur Decke, ehe er Jess wieder ansah. »Ich weiß nicht, aber die Tatsache, daß die Dame ohne Schlüpfer in ein bekanntes Aufreißerlokal ging, riecht mir doch stark nach stillschweigendem Einverständnis.«
    »Ach, und ein Messer an der Kehle gehört dann wohl deiner Meinung nach zum Vorspiel?« Jess schüttelte den Kopf, eher bekümmert als angewidert. Greg Oliver war bekannt für seine zutreffenden Prognosen. Wenn es ihr nicht einmal gelang, ihren Kollegen davon zu überzeugen, daß der Angeklagte schuldig war, wie konnte sie da hoffen, die Geschworenen zu überzeugen?
    »Es zeichnet sich gar nichts ab unter diesem kurzen Rock«, sagte Greg Oliver. »Verraten Sie mir mal, ob Sie ein Höschen tragen, Frau Anwältin?«
    Jess strich sich unwillkürlich mit beiden Händen über den grauen Wollrock, der oberhalb ihrer Knie endete. »Hör auf mit dem Quatsch, Greg«, sagte sie nur.
    Greg Olivers Augen blitzten mutwillig. »Was würde es denn brauchen, in dieses Höschen reinzukommen?«
    »Da muß ich dich leider enttäuschen, Greg«, sagte Jess ruhig. »In diesem Höschen ist nur für ein Arschloch Platz.«
    Die flüssige Schokolade von Greg Olivers Augen gefror einen Moment zu braunem Eis, dann jedoch schmolz sie sofort wieder, als sein Lachen erneut das Zimmer erfüllte. »Das liebe ich so an dir, Jess. Du bist so verdammt frech. Du nimmst es mit jedem auf.« Er ging zur Tür. »Eines muß ich dir lassen - wenn jemand diesen Fall gewinnen kann, dann du.«
    »Danke«, sagte Jess zu der sich schließenden Tür. Sie ging zum Fenster und blickte geistesabwesend zur Straße hinunter. Riesige Plakatwände schrien zu ihr hinauf. Abogado, verkündeten sie. »Rechtsanwalt« auf Spanisch, gefolgt von einem Namen. Auf jedem Schild ein anderer Name. Rund um die Uhr geöffnet.

    Es gab in diesem Viertel sonst keine Hochhäuser. Das Administration Building mit seinen vierzehn Stockwerken überragte alles, häßlich und hochmütig. Das anschließende Gerichtsgebäude war bloß sieben Stockwerke hoch. Dahinter stand das

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