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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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der alltäglichen Tagesschau um 20 Uhr. Eine dreiwöchige Reise nach Israel mit Besuch der heiligen Stadt Jerusalem war das Highlight des gemeinsamen Lebensabends. Römisch-katholisch aufgewachsen und erzogen, durch zahllose Pilgerwanderungen nach Kevelaer glaubensgestärkt, führten Herr und Frau Zimmermann ein lasterloses, gutbürgerliches, ja gottgefälliges Leben. Das ist auch gut so, denn noch heute wird der Herr endgültig in Anspruch genommen. Sie wissen schon - wir kennen weder den Tag noch die Stunde. Agnes, so heißt Frau Zimmermann mit Vornamen, betrat bewaffnet mit zwei Tassen Tee an diesem Nachmittag das Wohnzimmer. Im Ohrensessel vor ihr, für sie noch nicht zu sehen, saß Josef Zimmermann. Auf ihre Suggestivfrage »Josef, den Tee?«, erhielt Agnes keine Antwort. »Josef, was ist mit dem T...«, fragte Agnes erneut. Das Wort erstickte in ihrem Hals, denn Frau Zimmermann sah im gleichen Augenblick ihren im Sessel zusammengesackten Gatten. Durch Funk, Film und Fernsehen auf derartige Situationen hervorragend vorbereitet, handelte Agnes absolut vorbildlich. Sie stellte den Tee auf dem Wohnzimmertisch ab, bemerkte, dass ihr Mann nicht mehr atmete, eilte zum Telefon und rief die Notrufnummer 112. Nach einem kurzen, aber äußerst informativen Telefonat mit der örtlichen Feuerwehrleitstelle machten sich ein Rettungswagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug auf den Weg. Dreimal dürfen Sie raten, wer auf diesem Rettungswagen seinen Dienst tat. Richtig. Hein und ich, aber das wusste Agnes ja noch nicht. Es hätte ihre Entscheidung, den Rettungsdienst zu rufen, wohl auch kaum negativ beeinflusst. Keine Zeit zu verlieren, Erste Hilfe tat Not, und so eilte Agnes nach dem Notruf auch wieder zu ihrem Josef, um medizinisch notwendige Erstmaßnahmen einzuleiten. Nach unspektakulärer Anfahrt erreichten wir die Einsatzstelle. »Mist«, entfuhr es mir, »schon wieder alles alleine schleppen.« So ist das, wenn man vor dem Notarzt die Einsatzstelle erreicht. Also alle Geräte packen und schnell zum Patienten. Durch einen von Agnes instruierten Nachbarn wurden wir vollbepackt mit medizinischen Geräten zur Wohnung der Zimmermanns gelotst. Alles war wie im Bilderbuch: Hier wurde Nachbarschaft noch gelebt. Durch die bereits offene Wohnungstür betraten wir die kleine Diele der Dreizimmerwohnung. »Hier hinten«, riefeine nach Fassung ringende weibliche Stimme - Agnes. Ich erreichte das Wohnzimmer als Erster und sah eine männliche Person in einem Sessel sitzen. Mein klinisch geschulter Blick erfasste sofort die kraftlose Haltung des Patienten sowie die aschgraue bis graublaue Hautfärbung. Ich glaubte, einen merkwürdigen Geruch wahrzunehmen, merkwürdig fremd und doch irgendwie vertraut - im Augenblick nicht wichtig, dachte ich bei mir. Beim Berühren der Hände spürte ich eiskalte verhärtete Finger, die jede Geschmeidigkeit verloren hatten. Leichenstarre. Hein prüfte die Pupillen. Lichtstarr und entrundet. Kein Zweifel - Josef Zimmermann war mausetot und das nicht erst seit fünf Minuten. »Josef ist tot, nicht wahr?«, fragte Agnes. »Ja«, antwortete Hein, und ich ergänzte mit aufgesetzt seriöser Stimme: »Wir können nichts mehr für Ihren Mann tun. Unser herzliches Beileid.« Dieser Moment ist nie ganz einfach, man weiß einfach nicht, ob man die Gefühle der Angehörigen verletzt. Vielleicht handelte es sich auch um einen echten Quälgeist, der endlich verstorben war, oder um jemanden, der seine Familie tyrannisierte, einen Falschspieler und linken Drecksack, womöglich einen betrügerischen Anlagenberater. In einem solchen Fall wären Beileidsbekundungen womöglich fehl am Platze. Eher ein strammes »Es gibt noch Gerechtigkeit« wäre dann angebracht. Aber nicht bei den Zimmermanns! Ich war ehrlich gerührt, und das meine ich ganz ohne Hohn und Spott. Wie Agnes dort stand, ihrem Josef mit Tränen in den Augen zärtlich durchs lichte Haar fuhr und das gemeinsame Leben Revue passieren ließ, ergriff mich wirklich. Ein äußerst intimer Moment ohne jede Lächerlichkeit, voller Trauer und Liebe. »Wir hatten ein schönes gemeinsames Leben«, flüsterte Agnes. Was wie eine Floskel klang, zwang mich innerlich zu einer demütigen Verneigung für eine Leistung, die in meiner Generation kaum noch vollbracht wird. »Ein gemeinsames Leben« - sagen Sie das mal den beziehungsunfähigen emotionalen Krüppeln ab Jahrgang 1969 - den Kindern der Blumenkinder. Meine kommunikationsbehinderten Altersgenossen werden im Internet

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