Schauen sie sich mal diese Sauerei an
wir einen Blick auf meinen Dienststellenleiter. Leo ist 56 Jahre alt, ein alter Rettungsdiensthase und einfach ein liebenswerter Kerl. Seine Aufgabe liegt seit Jahren nicht mehr im praktischen Rettungsdienst, vielmehr kümmert er sich um alles Organisatorische. Sei es die Urlaubsplanung, die Erstellung von Dienstplänen, die Einweisung von Zivildienstleistenden oder das Bearbeiten von Einsatzberichten, bei Leo ist alles in guten Händen. Das Schicksal hat es so gewollt, dass Leo an jenem Rosenmontag noch einmal auf einem Rettungswagen aushelfen musste. Durch langfristig geplante Urlaube und kurzfristig erkrankte Kollegen war unsere Personaldecke arg strapaziert. »Kein Problem - ich weiß ja noch, wie es geht!«, hatte Leo gesagt, bevor er seinen eigenen Nachnamen in den Dienstplan einfügte. Der Morgen verlief völlig ruhig. Nach einem gemeinsamen Frühstück überprüften wir unser Fahrzeug, plauderten über vergangene Einsätze und nicht im Dienst befindliche Kollegen. »Da bin ich heute doch lieber auf der Wache, bevor ich wie Olaf die nächsten Wochen auf dem Scheißhaus verbringe«, lästerte Leo, und ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen. Olaf hatte wirklich Pech gehabt. Wer hätte auch ahnen können, dass ein kaltes Buffet auf der Preisverleihung bei einer Provinzmisswahl lebensmitteltechnisch vorher nicht auf Herz und Darm geprüft worden war. Nach massiven Durchfällen hatte die ärztliche Untersuchung eine Salmonellenvergiftung bestätigt, Olaf war mindestens vier Wochen aus dem Verkehr gezogen. Den Rest des Vormittags verbrachten wir damit, im Fernsehen Liveübertragungen von verschiedenen Rosenmontagszügen zu verfolgen. »Heute bleibt es ruhig«, weissagte Leo, um eine Konversationspause nicht unangenehm lang werden zu lassen. »Denke ich auch«, stimmte ich völlig entspannt zu, »auf tausend Pappnasen kommen acht Polizisten und zwei Sanitäter, da wird für uns wohl nicht viel übrig bleiben.« Gegen Mittag klingelte es am Haupteingang der Rettungswache. Besuch, noch dazu an einem Rosenmontag, ist auf Rettungswachen eher ungewöhnlich. »Rechnest du mit jemandem?«, fragte Leo erstaunt. »Nein, ich wüsste nicht, wer das sein sollte«, antwortete ich achselzuckend. Wir schlenderten zum Eingang, um das Rätsel zu lüften. Leo öffnete erwartungsvoll die Eingangstür. Er sollte nicht enttäuscht werden: Vor uns standen beziehungsweise schwankten zwei völlig besoffene junge Männer in Arztkostümen. Mit den schönen Worten »Den Rest der Schicht übernehmen wir, ab jetzt ist Narkose angesagt!« sollte unser Rettungswagen in Beschlag genommen werden. Ein Mönch, bewaffnet mit einer Flasche Hochprozentigem, gesellte sich ungefragt hinzu und rezitierte fehlerhaft aus dem Alten Testament. Gerade wollte ich die Türe wieder schließen, als Leo völlig unnötig ein Gespräch provozierte: »Meinen Sie nicht, dass es noch etwas früh am Tag ist, um schon derart betrunken zu sein?« »Auf keinen Fall!«, lallte der zweite Arzt. »Der frühe Vogel malt den Wurm, quatsch! Wer zuerst vögelt, kommt zuerst, jetzt hab ichs!«, vervollständigte er seine Antwort. »Seit dem I. vatikanischen Konzil von Düsseldorf ist der Wille Gottes auch nur noch eine Einzelmeinung!«, plapperte der Mönch dazwischen. Noch mit der Einatmung beschäftigt, um entrüstet zu antworten, schob ich Leo beiseite und schloss die Türe. »Lass gut sein. Mit der Sorte Kundschaft kriegen wir es heute früh genug zu tun«, versuchte ich ihn zu beruhigen. Leo folgte mir Richtung Fernsehraum. Ich wollte noch ein wenig dabei Zusehen, wie irgendwelche Prinzenpaare unschuldigen Kindern Pralinenschachteln an den Kopf warfen. »Ich geh mal auf Toilette, ich muss pissen!«, verabschiedete sich Leo. »Das ist zwar mehr Information, als ich brauche, aber mach mal«, kommentierte ich den Harndrang von Leo. Die Liveschaltung des Regionalfernsehens zeigte eine besonders lustige Gruppe weiblicher Westerngirls aus dem Sauerland. In ihren Pistolenhalftern steckten Wasserpistolen, die offensichtlich mit Schnaps gefüllt waren. Jedenfalls schossen sich einige Damen gegenseitig eine klare Flüssigkeit in den Hals und achteten peinlich darauf, dass nichts verloren ging. »Wer seid ihr denn? Und was macht ihr so?«, fragte der Lokalreporter mit investigativem Tiefgang. Eines der Mädels kreischte in die Kamera: »Wir sind Klara, Mandy, Susanne, Inge, Marion, Olga, Britta, Angelika, Melanie und Maria, und wir sind Grundschulpädagoginnen im Studium.« »Wenn
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