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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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das die Brut ist, die den Nachwuchs dieses Landes auf den Ernst des Lebens vorbereitet, dann haben wir bald alle sehr viel Spaß!«, murmelte ich noch in mich hinein, als der erste Alarm des Tages erfolgte. Es war 13:09 Uhr. »Amputationsverletzung, auf dem Marktplatz vor Hausnummer 7«, krächzte es aus dem Lautsprecher. Sofort sprang ich auf und lief vorbei an den Toiletten in Richtung Fahrzeughalle. »Aaaauuuuaaahhh«, schrie Leo hinter mir in einer Tonlage, die ich bis dato nicht für menschenmöglich gehalten hätte. Eine kurze Drehung, ich blickte zurück, doch Leo war nicht zu sehen, er musste noch in der Toilette sein. Einen Moment wartete ich, doch Leo tauchte nicht auf. Anscheinend brauchte er meine Hilfe. Als ich das WC erreichte, bot sich mir ein erschütterndes Bild. Leo lehnte mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Kopf gegen den Fliesenspiegel oberhalb des Pissoirs. Mit beiden Händen umfasste er sein Geschlecht, und ein einzelner Blutstropfen fiel zu Boden. Verunsichert frage ich: »Was ist das Problem, Leo, hast du Nierensteine? Oder ne Harnröhrenentzündung?« »Mein Sack ist im Reißverschluss eingequetscht«, brachte Leo mühsam unter Schmerzen hervor. »Ja, dann hol ihn da mal raus, wir müssen zum Marktplatz - Einsatz!«, kommentierte ich mit nüchterner Logik. »Hab ich schon versucht, du Blitzbirne. Geht aber nicht. Wenn ich versuche, den Reißverschlussschieber nach unten zu ziehen, werde ich vor Schmerzen fast bewusstlos. Du musst mir helfen!« Was blieb mir übrig? Ein neuer Kollege war auf die Schnelle nicht aufzutreiben. Die Leitstelle anrufen und mitteilen, dass eine unerwartete kurze ambulante OP unseren Einsatz verzögern würde, wollte ich Leo und mir ersparen. Also zog ich Gummihandschuhe aus meiner Hosentasche, streifte sie über die Finger und ging in die Hocke. Es gibt Ausnahmen, aber die meisten Kerle fummeln sich nur ungern gegenseitig am Geschlechtsteil. »Ist die Haustür abgeschlossen? Ich würde jetzt nur ungern überrascht werden.« Mit diesen Worten führte ich die Hände des Opfers beiseite und erblickte das ganze Ausmaß des Desasters. Sie wissen, wovon ich spreche. Jeder hat schon mal das Innenfutter seiner Jacke im Reißverschluss eingeklemmt. Da steckt es dann ein bis zwei Zentimeter zwischen den kleinen Metallzähnen, und man muss reißen und ziehen, um es zu befreien. Übersetzen Sie dieses Bild einfach auf eine Hose und das weiche zarte Fleisch eines Hodensacks. »Sieht es schlimm aus?«, fragte Leo schwer atmend. Was soll man einem erwachsenen Mann in einer solchen Situation antworten? Ich entschied mich, Leo kurz abzulenken, um ihn dann ruckartig zu befreien. »Das kann gleich mal kurz wehtun«, stellte ich fest und begann, möglichst sanft Hand anzulegen. »Was du nicht sagst«, antwortete Leo mit einer gewissen Unsicherheit in der Stimme. »Ist dir eigentlich bekannt, dass Truthähne bei Starkregen in den Himmel starren, dabei den Schnabel offen haben und dadurch häufig ertrinken?«, fragte ich bewusst beiläufig. »Häähh, welcher Idiot verbreitet so einen Schwachsi... au-uuahhhhhh!«, schrie Leo. Den Moment der Verwirrung hatte ich genutzt. Feinmotorik ist nicht meine Stärke und Geduld schon mal gar nicht. Einen Teil des Hodensacks zwischen Daumen und Zeigefinger eingeklemmt, hatte ich kurzen Prozess gemacht und mit der anderen Hand den Reißverschlussschieber nach unten gerissen. Es dauerte einen Augenblick, bis Leo etwas sagte. Unschlüssig, ob bei meinem Patienten Aggressivität oder Dankbarkeit überwiegen würde, nahm ich eine fluchtbereite Körperhaltung ein. »Danke - du Bastard! Komm, jetzt wir müssen los!«, brachte Leo pflichtbewusst hervor. Es hatte schon was von vergangenem Heldentum oder Wildwestromantik, wie wir beide nebeneinander Richtung Fahrzeughalle rannten, es fehlte eigentlich nur noch ein blutroter Sonnenuntergang. Die Bewegungsabläufe von Leo waren zwar etwas breitbeinig, aber das Autofahren funktionierte problemlos. Das ganze Drama hatte uns circa dreißig Sekunden gekostet. Ohne weitere Verzögerungen wollten wir nun zur Einsatzstelle fahren. Leichter gesagt als getan, der Rosenmontagszug war bereits in vollem Gange, Menschenmassen strömten durch die Straßen und behinderten ein schnelles Vorwärtskommen. Die Zufahrtsstraße zur Einsatzstelle war so voll, dass man über die Köpfe der kostümierten Narren hätte laufen können. »Bitte bilden Sie eine Gasse!«, wies ich die homogene Menschenmenge über Außenlautsprecher an, um

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