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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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»gefühlte Temperatur« eigentlich? Hält der Wettermann die Hand aus dem Fenster und sagt: »Ach ja, das sind jetzt so 35°C«, oder befragt man einen erfahrenen Eistaucher mit Sauna Vergangenheit, der Temperaturen bis auf 0,3 °C genau erfühlen kann? Würde es einen Unterschied machen, ob der Eistaucher gebürtig aus Finnland oder aus Ägypten stammt? Ich weiß es nicht ... Es ist auch egal, denn was ich weiß, ist Folgendes: Ich schwitze wie ein Schwein. Hein und ich haben uns deshalb ein schattiges Plätzchen gesucht, genauer gesagt den Dresdner Platz, ein hübsches Karree aus Altbauten mit winzigen Vorgärten und altem Baumbestand entlang der Straßen. Eine vollkommen sinnbefreite Einbahnstraßenregelung macht das Ganze unfreiwillig zur Verkehrsberuhigten Zone, wo man zwischendurch mal einen Rettungswagen unauffällig unter schattenspendenden Kastanien abstellen kann. Ein liebevoll angelegter Spielplatz mit Schaukel, Sandkasten, Wippe und benutzten Fixerspritzen lädt ein zum unschuldigen Spiel der Kinder. Kurzum, ein echtes Kleinod inmitten der Großstadt. Der eigentliche Grund unseres Besuches am Dresdner Platz war aber nicht die Idylle. Nein, es war die mit Abstand beste italienische Eisdiele der Stadt: Don Corleone. Hein ist hier Stammgast. Er ratterte seine bereits hundertfach getätigte Bestellung runter: »Hörnchen zu 2,80 Euro, zweimal Vanille und zweimal Amarena mit Sahne, bitte.« »Und für Sie?«, fragt mich eine hübsche Südländerin mit einem Gesichtsausdruck und Tonfall, als ob sich unsere verschwitzten Körper gleich voller Wollust aneinanderreiben würden. Es ist die Hitze, dachte ich, ich habe doch keine Zeit, ich bin im Dienst, und vergeben bin ich auch. »Drei Bällchen Zitroneneis im Becher«, antworte ich noch unter dem Einfluss ihrer verkaufsfördernden Aura. Das ist jetzt mehr Information, als Sie brauchen, aber ich esse nur Zitroneneis. In meiner Ausbildung hatten wir einen Dozenten für Hygiene, einen Mitarbeiter aus dem Gesundheitsamt, der früher für Lebensmittelkontrollen zuständig war. Eine seiner Kernaussagen war: »Die Kühlkette ist heilig, aber selten intakt.« Gerade Milcheis sei eine echte Herausforderung. Zitroneneis könne relativ bedenkenlos gegessen werden, wegen der produkteigenen Zitronensäure. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber es klang logisch. Seit diesem Tag esse ich - wenn überhaupt - nur noch Zitroneneis. Mit unserer wohlverdienten Abkühlung machten wir es uns auf einer Parkbank neben dem Rettungswagen bequem. Die Tür weit offen und den Funk auf maximale Lautstärke gestellt, waren wir auch während unserer kleinen Pause einsatzbereit. Als wir so dasaßen, geriet Hein ins Plaudern: »Da drüben hatte ich mal nen Einsatz mit der Drehleiter. Katze im Baum - ich denk noch: nur der übliche Blödsinn, aber ich war mit Franz auf der Leiter, da war alles etwas anders, ich hab mich bepisst vor Lachen.« »Erzähl weiter«, animierte ich Hein. »Ist etwa drei Jahre her. Da hat uns ne ältere Dame alarmiert, der Klassiker: >Meine Katze ist seit Stunden im Baum und kommt nicht mehr alleine runter.< Die muss unter Tränen die Leitstelle angerufen haben, sodass die Jungs weich wurden und jemanden hingeschickt haben. Franz und mich. Wir sind mit der Drehleiter hin, ganz lässig ausgestiegen und haben erst mal fachmännisch die Bäume in Augenschein genommen. Die Dame kam dann auch sofort auf uns zu und hat uns ihre Muschi gezeigt, also ihre Katze, die saß so sechs bis sieben Meter hoch auf nem Ast. Franz hat nur gefragt, ob sie schon mal ein Katzenskelett in einem Baum gesehen habe ...«An dieser Stelle brach die Erzählung ab, Hein verfiel in schallendes Gelächter, das immer wieder von dem gekreischten Wort »Katzenskelett« unterbrochen wurde. Der arme Kerl bekam kaum noch Luft. Wieder kreischte und lachte er gleichzeitig: »Katzenskelett in einem Baum ...« Ich mag Menschen, die sich über ihre eigenen Geschichten halb totlachen. Hein hörte nicht auf zu lachen, er hatte einen herrlichen Lachkrampf. Auch ich lachte mittlerweile herzhaft, denn Hein wippte, um besser Luft zu bekommen, mit dem Oberkörper immer vor und zurück - das sah nicht nur lustig aus, sondern führte auch dazu, dass Hein bei jeder Vorwärtsbewegung sein Eishörnchen liebevoll ins T-Shirt drückte. »04-83-01 für Florian - 04-83-01 für Florian«, krächzte es aus dem Funkgerät im Rettungswagen. Damit waren wir gemeint, die Zahlenkombination war das Kürzel für unseren Rettungswagen, und

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